Ist authentische Führung unprofessionell?

„Authentisch führen“ ist der neue Verkaufsschlager bei Führungstrainings, habe ich neulich in einen online magazin gelesen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Führungskräfte dort gern hingehen, um endlich zu lernen, wie sie in der Rolle Führungskraft so sein können, wie sie wirklich sind. Der Wunsch ist verständlich, aber ist er auch klug?

Berufliche Rollen, z.B. die der Führungskraft oder des Projektleiters, sind für die Organisation Mittel um Wertschöpfung und Zielerreichung sicherzustellen. Denn wenn Arbeitsteilung herrscht, dann kann nicht jeder machen was er will, sondern sollte zunächst die Dinge gut tun, die auf seinem Platz getan werden müssen.

Seien sie deshalb auf der Hut vor den Heilsversprechen der Selbstverwirklicher und Authentizitätsevangelisten! Ich finde, Führungskräfte, die rein authentisch führen, handeln unprofessionell, weil sie den Bezug zur Organisation ignorieren. Um sich wohl und zufrieden im Job zu fühlen kommt es darauf an, je nach Situation in der richtigen Dosis authentisch zu sein und genau die Rolle auf der Bühne des Unternehmens vorzuführen, die vom Publikum auch verstanden werden kann. 

Warum ist das so? Rollen sind nicht „objektiv“, sondern immer das Ergebnis eines Aushandlungsprozess mit vielen stakeholdern. Nahezu jeder hat Vorstellungen davon, was ein Geschäftsführer, Abteilungsleiter oder Aufsichtsratsvorsitzender zu tun hat, damit das betriebliche Ergebnis stimmt. Nur derjenige die unterschiedlichen Erwartungen kennt, sie aktiv „managt“ und bewusst in seine Kommunikation einbaut, wird seine Rolle auch erfüllen und „seine Themen platzieren“. Und natürlich gilt auch: erst wenn ich mir über meine berufliche Rolle klar bin, kann ich mit den anderen sinnvoll über Kooperation sprechen…

Ihre berufliche Rolle klären sie am besten in drei Stufen

Stufe 1: Bestimmung der relevanten stakeholder deren Erwartungen wohl auf ihre Rolle „abfärben“ werden

Stufe 2: Das Erwartungsgefüge ermitteln
Um mehr Klarheit über die Erwartungen an Ihre berufliche Rolle zu erhalten, tragen sie die Antworten aller stakeholder auf drei zentrale Leitfragen zusammen:

a) Was erwartet/ erwarten  ______ (hier ist der jeweilige stakeholder einzusetzen) von ______ (hier setzen sie ihre berufliche Rolle ein)?

b) Welche typischen Fragen stellt __________  an _______?

c) Was darf __________aus Sicht von _______________ nicht tun?

Stufe 3: Die Rollenübernahme entscheiden
Nach Abschluss der Stufe 2 liegen Ihnen eine Vielzahl von Rollenerwartungen vor, die teilweise ähnlich aber auch unterschiedlich sein können.

Nun kommt es auf Ihre Entscheidung an: Welche der Erwartungen wollen sie übernehmen und als Bestandteil ihrer beruflichen Rolle festlegen? Welche der Erwartungen werden sie nicht übernehmen und welche Konsequenzen wird das vermutlich haben?

In Stufe 3 kommen also ihre ganz individuellen Vorstellungen über die berufliche Rolle ins Spiel. Nun wird es persönlich und sie müssen sich „tiefgehenden“ Fragen stellen. Was können sie gut und bei welchen Aufgaben sind sie unsicher? Welche Verantwortung streben sie an, welches Thema ist tabu? Über welchen Verhaltenskodex lassen sie nicht mit sich reden und welches Verhalten würden sie sich aneignen?

Nicht ganz einfach ist es, mit Erwartungen umzugehen, die zwar nicht mit Ihren eigenen Vorstellungen übereinstimmen, aber die sie trotzdem in ihre Rolle übernehmen. Das sind die Dinge, die Menschen tun, weil „sie zum Job gehören“ und sie sich in ihrer Rolle professionell verhalten. Hier wird die Analogie des Begriffes Rolle greifbar: ähnlich wie für Schauspieler, gehört es zu einer wirksamen Führungskraft, ihre Arbeit unter den kritischen Augen der Mitarbeiter, Kollegen, Kunden, Lieferanten (eben der stakeholder) „über die Bühne zu bringen“. Dazu gehört ein zur Rolle passender Text und Verhalten. Als Führungskraft erfolgreich zu sein, bedeutet also auch, die Rolle überzeugend zu spielen bzw. nicht aus der Rolle zu fallen!

Genauso werden sie Werte, Normen, Erwartungen und Wünsche, die sich nicht innerhalb ihrer Führungsrolle umsetzen, ermitteln. Es ist ein Binsenweisheit: die berufliche Rolle erfüllt nicht die ganze Person. In diesem „privaten“ Bereich leben sie fern von dem Druck, die Erwartungen der meisten stakeholder erfüllen zu müssen, ein professionelles Rollenspiel ist nicht nötig, d.h. sie werden sich „authentisch“ verhalten.

Achten sie bei Ihrer Tätigkeit also darauf, dass der „private“ Bereich groß genug bleibt und nicht voll von ihrer beruflichen Rolle aufgesogen wird. Denn sich im Job zu authentisch zu verhalten, ist nicht ohne Risiko. Niermeyer (2008) zufolge macht eine naive, offene Authentizität beruflich sogar erfolglos, denn „Authentizität wird im Job nicht belohnt, Echtheit ist nicht immer professionell – jedenfalls dann nicht, wenn man darunter auch die Preisgabe persönlicher Schwächen, Marotten oder Unsicherheiten versteht. Wer seine Rolle nicht mehr glaubwürdig ausfüllt, wird abgestraft – oder sein Unternehmen. […] Sein, wie man ist, ist ein riskantes Erfolgsrezept.“

4 Kommentare zu „Ist authentische Führung unprofessionell?“

  1. Wolfgang Sutterlüti

    Hallo Olaf,

    wirklich interessanter Beitrag. Die Frage ist, wie wird „authentisch sein“ definiert. Kann ich auch in der Rolle authentisch sein? In diesem Fall gibt es unterschiedliche Authentizitäten in unterschiedlichen Rollen. Mit deinem Beitrag hast du mir jedenfalls eine andere Perspektive auf den Begriff Authentizität eröffnet. Danke!
    Herzliche Grüße
    Wolfgang

  2. Hallo Herr Hinz,
    vielen Dank für Ihren interessanten Artikel! Sie beleuchten damit ein Thema – authentische Führung, dem auch ich durch praktische Erfahrung und Theorie skeptisch gegenüber stehe.
    Darf ich an dieser Stelle auf einen eigenen Blogartikel hinweisen? 😉 (wenn nicht erwünscht, löschen Sie bitte den Link)
    In diesem Beitrag äußere ich die Meinung, dass ein Rollenspiel unvermeidlich ist und entlastend wirkt. Mögen Sie weiterlesen?
    http://simonsen-management.de/koennen-fuehrungskraefte-authentisch-sein-tipps-fuer-den-umgang-mit-der-neuen-rolle/
    Nochmals vielen Dank für Ihre Ausführungen und mit besten Grüßen von RZ nach HH
    Barbara Simonsen

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