Authentisch führen – 6. von 10 Irrtümern über Führung

Olaf Hinz

„Authentisch führen“ ist der neue Verkaufsschlager bei Führungstrainings, habe ich neulich in einem Wirtschaftsmagazin gelesen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Führungskräfte gerne an diesen Trainings teilnehmen, um zu lernen, wie sie in der Rolle Führungskraft endlich diejenigen sein können, die sie wirklich sind. Endlich Schluss mit der Rollenspielerei!

Der Wunsch authentisch zu sein ist verständlich, aber er ist nicht klug, weil er die persönlichen Eigenschaften des Individuum zu sehr in den Fokus stellt und die organisatorische Rolle der Führungskraft ausblendet. Eine Führungsrolle zu übernehmen, ist eine professionelle Dienstleistung an und für die Organisation.

Ich finde, Führungskräfte, die rein authentisch führen, handeln unprofessionell, weil sie den Bezug zur Organisation ignorieren.

Natürlich ist es nicht einfach, als Führungskraft mit Erwartungen umzugehen, die zwar nicht mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmen, aber die trotzdem in der Rolle als Führungskraft gemacht werden „müssen“.
Das sind die Dinge, die Menschen tun, weil „sie zum Job gehören“ und sie sich in ihrer Rolle professionell verhalten. Hier wird die Analogie des Begriffs Rolle greifbar: Ähnlich wie Schauspieler müssen wirksame Führungskräfte ihre Arbeit unter den kritischen Augen der Mitarbeiter, Kollegen, Kunden, Lieferanten „über die Bühne bringen“. Dazu gehört ein zur Rolle passender Text und entsprechendes Verhalten. Als Führungskraft erfolgreich zu sein, bedeutet also auch, die Rolle überzeugend zu spielen bzw. nicht aus der Rolle zu fallen!

Grafik: Daniel Reinold

Und natürlich gibt es Werte, Normen, Erwartungen und Wünsche, die sich nicht innerhalb Ihrer Führungsrolle umsetzen lassen, denn es ist eine Binsenweisheit: Die berufliche Rolle erfüllt nicht die ganze Person. In diesem „privaten“ Bereich auf der Hinterbühne lebt man fern von dem Druck, die Erwartungen der meisten Stakeholder erfüllen zu müssen, ein professionelles Rollenspiel ist nicht nötig, d.h. man wird sich in diesem Bereich „authentisch“ verhalten.

Achten Sie bei Ihrer Tätigkeit also darauf, dass der „private“ Bereich groß genug bleibt und nicht voll von Ihrer beruflichen Rolle aufgesogen wird. Denn sich im Job zu authentisch zu verhalten, ist nicht ohne Risiko.

Rainer Niermeyer zufolge macht eine naive, offene Authentizität beruflich sogar erfolglos, denn „Authentizität wird im Job nicht belohnt, Echtheit ist nicht immer professionell – jedenfalls dann nicht, wenn man darunter auch die Preisgabe persönlicher Schwächen, Marotten oder Unsicherheiten versteht. Wer seine Rolle nicht mehr glaubwürdig ausfüllt, wird abgestraft – oder sein Unternehmen. […] Sein, wie man ist, ist ein riskantes Erfolgsrezept.“

Seien Sie deshalb auf der Hut vor den Heilsversprechen der Selbstverwirklicher und Authentizitäts-Evangelisten!  Um sich wohl und zufrieden im Job zu fühlen, kommt es darauf an, je nach Situation in der richtigen Dosis authentisch zu sein und genau die Rolle auf der Bühne des Unternehmens vorzuführen, die vom Publikum auch verstanden werden kann. Wer rein authentisch führt, führt unprofessionell!

Dieser Beitrag ist Teil der Serie 10 Irrtümer über Führung. Ich schaue dort hinter die gängigen Mythen über das Leben und Arbeiten in der Managementetage. Denn entgegen der aktuellen Bestsellerliteratur, die vor allem auf das „Bashing“ setzt, glaube ich nicht, dass nur Karrieristen, Machtmenschen und andere »Irre« zur Führung geboren sind. Ganz entscheidend ist die richtige Haltung: Dann wird Einfluss wichtiger als Macht und eine Führungskraft kann wirkungsvoll tätig sein. Ein Überblick über alle Beiträge ist hier zu finden…

1 Kommentar zu „Authentisch führen – 6. von 10 Irrtümern über Führung“

  1. Astrid Niedermeier

    Wie schön, dass die Welt bunt ist und nicht schwarz weiß!
    Auf Management werden wir nicht verzichten können. Wichtig ist, dass wir jeweils angemessene „schlanke“ Tools auswählen, anstatt uns gegenseitig in der Anwendung ständig neuer Tools zu überbieten um daraus unsere Identität beziehen zu wollen.
    Ihre Beiträge in dieser Serie machen Mut den Schritt zu Führung zu wagen. Wie bei jeder Arbeit ist es auch bei Führungsarbeit wichtig sich der eigenen ganzen Person bewusst zu sein.
    Interessant wäre noch, wie „professionelles Verhalten“ eigentlich definiert wird. Meine Erfahrung ist, dass verschiedene Personen ganz unterschiedliche Vorstellungen von Professionalität haben. Auch hier liegt die Wahrheit in einem weiten Feld zwischen „Pokerface“ und „jede Emotion spontan auszuleben“. Schön bunt und vielfältig und immer der Situation angemessen.
    Danke für den differenzierten Blick!

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