Nun hat er also seine Richtlinienkompetenz ausgeübt. Was aus partei- politischen Blickwinkeln vielleicht als besonders diskutiert werden mag, ist bei näheren Hinsehen ein typisches Kennzeichen einer wirksamen Hierarchie.
In vielen Organisationen kennen wir den Satz, dass „das jetzt eskaliert werden muss“. Gemeint ist damit ein Interessengegensatz, der zwischen zwei Einheiten oder Personen der Organisation nicht gelöst werden kann. Bevor man sich dann ineinander verkeilt und die Arbeitsteilung dauerhaft gefährdet, „delegiert“ man das Thema „nach oben“. So wird auf kluge Weise vermieden, dass ein Konflikt die Organisation lähmt.
Denn in hierarchischen Organisationen gibt es keinen Einigungszwang, oft noch nicht mal die Erwartung, sondern ein System der Entscheidungsvorlage, die „nach oben geschickt wird“. Ich erinnere mich da an meinen Bankvorstand, der von „produktiven Konflikten, die dann von mir entschieden werden“ sprach.
Das Machtwort der Hierarchie hat Vorteile. Die Kontrahenten können ihre Position ohne Gesichtsverlust behalten und zu Hause glaubwürdig berichten, dass sie sich voll eingesetzt hätten. Wenn die Entscheidung mit Positionsmacht getroffen wird, kann man nach vorn blicken und verschwendet keine Energie in einen immer heißer werdenden Konflikt. Auf der anderen Seite hat die Eskalation nach oben klare Nachteile. Je länger dieser Weg dauert und je mehr dort auf den Weg gebracht wird, desto enger wird der Flaschenhals an der Spitze. Die Organisation wird dümmer und langsamer und die Wirkung der Eskalation nutzt sich ab.
Ist also eine Entscheidung durch Richtlinienkompetenz bzw. Hierarchie ein Zeichen von Schwäche? Nein! Sie ist im Einzelfall eine sehr kluge und ressourcenschonende Art, Entscheidungen zu treffen. Sie verliert aber drastisch an Wirkung, wenn sie zu oft oder mit einer Tendenz zu einer Seite eingesetzt wird. Dann entstehen Demotivation und das Gerede über Gewinner-Verlierer bzw. Günstlinge nimmt zu.
Auch mit Blick auf meine vorherige Tätigkeit als Büroleiter von Peer Steinbrück im Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie in Schleswig-Holstein finde ich das Vorgehen eines Regierungschefs klug, die Richtlinienkompetenz zu nutzen. So kommen zwei Minister, die viel politisches Kapital in den Konflikt investiert haben, gesichtswahrend aus der Sache heraus und alle können sich den anderen offenen Themen zuwenden.