Selbstorganisation, Fremdbestimmung und Freiheit

Kaum ein Gespräch über Change und Transformation kommt derzeit ohne den Begriff Selbstorganisation und den Ruf nach mehr (Entscheidungs-) Freiheit aus. Und das ist gut, denn sie ist eine der vielversprechenden Antworten auf die steigende Komplexität, Ungewissheit und Dynamik, mit denen herkömmliche Planungs- und Entscheidungsprozesse nicht Schritt halten können. (Dezentrale) Selbstorganisation kann diese Phänomene und das dahinter liegende Entscheidungsproblem wirksamer bearbeiten als einsame Helden an der Spitze einer Organisation.

Mittlerweile habe ich einige Facetten und Formen der Selbstorganisation beobachten können. Wenn ich diese Experimente auswerte, ist eines zentral: die Fähigkeit, Entscheidungen zu formulieren, zu treffen und umzusetzen.

Ohne Entscheidungsfähigkeit und -willigkeit ist Selbstorganisation konsequenz- und wirkungslos.

Dann steht Selbstorganisation mit beiden Füßen im Leben, übernimmt Verantwortung und muss darauf achten, welche Konsequenzen es hat, jetzt „Selbst“ zu entscheiden. Mancher hat an diesem Punkt das Thema Selbstorganisation dann wieder zu den Akten gelegt. Denn Selbstorganisation ist immer ein Experiment.

Deswegen ist es klug, den Evangelisten zu misstrauen, die dieses „zu den Akten legen“ als ein falsches mindset diffamieren
und Selbstorganisation zum neuen Heiligen Gral des Managements ausrufen.

Genauso wichtig ist es, die Alternative, die Fremdorganisation, nicht zu verteufeln. Für viele Kontexte ist und bleibt Fremdorganisation eine sinnvolle Art, Arbeitsteilung zu organisieren. Ich denke da an Standard- und Routinearbeiten, die keine Varianz dulden. Das finden wir in Produktionsbereichen ebenso wie in Laboren oder im (technischen) Service. Diese Aufgaben können gut \“vorgeplant\“ und zentral \“gesteuert\“ werden. Denn die Form der Organisation muss zuallererst den Organisationszweck erfüllen, die Prozesse effizient halten und dafür sorgen, dass die Arbeitsteilung funktioniert.

Fremdorganisation ist aber auch ein Kennzeichen bewährter Formen der Krisenbewältigung wie Notfallroutinen oder Krisenstäbe. Das erleben wir aktuell gesellschaftlich und am eigenen Leib. Wenn Apelle an die Selbstorganisation und Solidarität nicht fruchten, wird mit Nudging und Pflichten reagiert. Denn wenn der Zweck/ das Ziel bedroht ist, kann eine Organisation nicht darauf warten, dass Selbstorganisation funktioniert und schränkt deshalb die Entscheidungsautonomie ein.

Selbstorganisaton und dezentrale Entscheidungsfreiheit ist eine der vielversprechenden Antworten auf die steigende Komplexität, Ungewissheit und Dynamik, mit denen herkömmliche Planungs- und Entscheidungsprozesse nicht Schritt halten können. Ich hoffe sehr, dass sie deshalb von Interessengruppen nicht zum Königsweg „hochgejazzt“ und dabei zerstört wird!

Wie erleben Sie das „Versprechen“ der Selbstorganisation und haben Sie schon Erfahrungen am „eigenen Leib“ damit gemacht? Ich freue mich auf unseren Austausch…

1 Kommentar zu „Selbstorganisation, Fremdbestimmung und Freiheit“

  1. Moin Olaf.

    Ich teile deine Einschätzungen. Nicht nur wollen, sondern auch können und dürfen machen Selbstorganisation erst funktional als Handlungsoption für Unternehmen. Ich denke, Selbstorganisation zahlt gut auf die Komplexität in Projekten ein und kann ein Erfolgsfaktor sein. Ebenso im organisationalen Unternehmenskontext. Ich durfte bereits einige Erfahrungen sammeln und bin erstaunt, welche Auswirkungen teilweise zu beobachten waren. Für mich traten die Themen (Selbst)-Verantwortung und (Selbst)-Verpflichtung stark in den Vordergrund.

    Es bleibt spannend.

    Herzliche Grüße

    Jörg

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