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Kulturwandel und der Unsinn mit dem mindset

Immer wieder höre ich beim Stichwort Kulturwandel den Anspruch, dass Mitarbeitende ihr mindset verändern müssen, damit eine Transformation erfolgreich wird. Gerade in Projekten zur agilen Transformation finden sich oft Initiativen, die ein sogenanntes agiles Mindset trainieren wollen.  

Ich bin da eher bei Gerhard Wohland. Er findet, dass Menschen zwar ihr Verhalten bewusst verändern können. Die dahinter liegenden oft unsichtbaren Werte –also das mindset- können sie dagegen nicht willentlich verändern. Von ihm stammt das dazu passende bonmot: Verändern Sie mal Ihre Lieblingsfarbe! 

Vieles was aktuell unter der Überschrift „mindset shift“ angeboten wird, erfüllt die Kriterien eines seriösen Change Management nicht. Ich beobachte ein übergriffiges und letztlich unwirksames „rumfummeln“ am sogenannten mindset während gleichzeitig der Organisationszweck und die kulturellen Artefakte aus dem Blick geraten! 

Struktur kommt vor Psyche

Kultureller Wandel folgt den bewährten Change Management Grundsatz “Struktur kommt vor Psyche”. Wer Strukturen und Prozesse verändert, der setzt einen Veränderungsimpuls für das Arbeitsverhalten.

Denn Mitarbeitende eines Unternehmens, die klug und nicht naiv sind, richten ihr Verhalten natürlich an den Richtlinien und Gepflogenheiten in diesem Unternehmen aus. Seien sie nun als formelle Artefakte * sichtbar oder informell aus Erzählungen bekannt. Typische Beispiele formeller Art sind Kompetenzregelungen, Prozessbeschreibungen, Organisationshandbücher und Organigramme aber auch Grundsätze der Zusammenarbeit und Führung oder das Leitbild. 

Diese sichtbaren Strukturen im Unternehmen sind es, die den Rahmen bilden, in dem der Kulturwandel vom IST zum SOLL geschieht. Sie zeigen die Maßstäbe auf, nach denen zukünftig gehandelt werden soll.

Daher wird wirksamer Kulturwandel die sichtbaren Artefakte, insbesondere die Strukturen und Prozesse der Organisation, ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen. Ein alleiniger Blick auf das Individuum und ihr mindset greift zu kurz. Es gilt, das System zu verändern – nicht die Persönlichkeit! 

Integrität anerkennen

Mehr Systemdenken tut Projekten zum kulturellen Wandel gut. Struktur kommt vor Psyche lautet daher der Grundsatz für erfolgreiche kulturelle Transformation. Daher geht der Blick zunächst auf die kulturellen Muster der Organisation und die Struktur, in der gearbeitet wird.  

Um es klar zu sagen: Professionelles Change Management basiert auf der Anerkennung der Integrität aller Organisationsmitglieder. Menschen sind komplexe und soziale Wesen mit einer Psyche. Wenn Menschen in Organisationen handeln, tun sie das absichtlich und sinnvoll. Sie handeln auf Basis ihrer Wahrnehmung, Überzeugungen, Erfahrungen, Fähigkeiten und Möglichkeiten. 

Daher verzichtet eine wirksame kulturelle Transformation auf Tools & Methoden, die primär dazu verwendet werden, das Verhalten von Menschen psychologisch zu beeinflussen. Mindset Projekte sind eine Verschwendung von Ressourcen. 

Kultureller Wandel benötigt kein Tool, sondern Erfahrungslernen

Stefan Kühl von der Universität Bielefeld spricht von einem Dilemma der Kulturveränderung, das er auf einen prägnanten Satz eindampft. 

Wer die Kultur einer Organisation ändern will, darf überall anpacken, außer bei der Kultur.

Das Einzige, was wir tun können, ist, Mitmenschen zum „Spurwechsel“ einzuladen und sie zu ermutigen, durch Experimente den eigenen Erfahrungsraum auszuweiten. Denn Erfahrung determiniert Haltung und die Haltung bestimmt unser Handeln. Weil wir in der kulturellen Transformation das Handeln und Verhalten adressieren wollen, müssen wir also bei den Erfahrungen ansetzen.  

Wirksamer kultureller Wandel schafft die Voraussetzungen, dass Mitarbeitende und die Organisation als Ganzes neue Erfahrungen sammeln können. Mit diesen neuen Erfahrungswelten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Haltung und Arbeitsverhalten verändern. 
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* Ed Schein beschreibt Artefakte als die sichtbare und wahrnehmbare Ebene einer Unternehmenskultur. Dazu zählen beispielsweise Kleidung, Umgangsformen, Sprache, Rituale, Gebäude oder technische Einrichtungen. Sie geben erste Hinweise auf die Kultur, müssen jedoch im Kontext interpretiert werden, um ihre kulturelle Bedeutung zu verstehen.

5 Kommentare zu „Kulturwandel und der Unsinn mit dem mindset“

  1. Pingback: #LINKSDERWOCHE | 19/2025: Produktivität, Lean, Agile, Management und Leadership – Toms Gedankenblog

  2. „Denn Mitarbeitende eines Unternehmens, die klug und nicht naiv sind, richten ihr Verhalten natürlich an den Richtlinien und Gepflogenheiten in diesem Unternehmen aus. Seien sie nun als formelle Artefakte * sichtbar oder informell aus Erzählungen bekannt.“

    Grundsätzlich ja. Aber sehr engagierte Leute umgehen die „Richtlinien und Gepflogenheiten“ achon mal zu Gunsten eines guten Ergebnisses! Ich beziehe mich auf Infos von Ingenieuren in der Produktentwicklung bei High-Tech-Autozulieferern: Da krankt es daran, dass wechselnde fachfremde Manager Regeln erlassen, die dem „guten Produkt“ geradezu entgegenwirken. Es werden dann informelle Wege gesucht, quer durch die Abteilungen und mit dem jeweiligen Kunden, um dennoch das perfekte Produkt auf den Weg zu bringen.

    Will ein Management das Mindset ändern (letztlich das Verhalten der Mitarbeiter) sollte zunächst die Bereitschaft bestehen, vorhandene Prozesse kritisch zu evaluieren und dabei vor allem jene einzubeziehen, die wirklich Ahnung von den Dingen haben. Das alleine wäre schon sehr motivierend!

    1. Natürlich Claudia.
      Das Thema „kluge Auslegung der Regeln“ meine ich auch mit informell.
      Prozessgestaltung und Redesign „breit“ anzulegen ist klug und die Voraussetzung für Richtlinien, die dann verhaltensprägende Artefakte sind. Auch hier: die Struktur wie Prozesse evaluiert werden kommt vor der Psyche, d.h. Workshops und Coachings zum mindset „beste Automarke der Welt“. Ergo: red‘ nicht drüber, sondern sei es!

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