Segeln auf Sicht
Segeln auf Sicht nennt der leider viel zu früh verstorbene Peter Kruse die angemessene Reaktion auf zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit und wechselnde Winde. Denn die Paradigmen für Führung und Management haben sich geändert: In einer digitalen Welt haben die Organisationskulturen einen entscheidenden Vorteil, die Werte verkörpern, die Komplexes von Kompliziertem unterscheiden und die gerade in stürmischer See Haltung zeigen.
Was uns zukünftig voranbringt, sind die Protoypen, die „good enough“ sind, – nicht die „ausgetesteten“ Exzellenzlösungen. Ausgefeilte Pläne abzustimmen und niederzuschreiben, ist oft nur noch Zeitverschwendung. Auftragssteuerung, Vorgehensmodelle und eindeutige Geschäftsprozesse, bei denen in der Formulierung um jedes Wort gerungen wird, sind immer öfter bereits nach der Drucklegung veraltet.
Task Boards, Canvas und Design Thinking sind dagegen sinnvolle Hilfsmittel, um die nächsten Schritte gemeinsam anzugehen, um sie transparent zu machen und das Vorgehen leichter an neue Erkenntnisse anzupassen.
Der Markt wird unübersichtlich, denn die Innovations- und Produktzyklen werden angesichts der digitalen Technologien immer schneller – und die Big-Data Masse ist nicht zu überblicken. Deshalb ist es klug, kurze Strecken mit hoher Intensität zu „sprinten“, statt für lange Reisen eine Menge Gepäck mitzuführen. Es braucht die Lust, sich immer wieder neu zu entscheiden, statt dauerhafte Weichenstellungen zu betonieren. Es gilt mit dem Prinzip „zeitnah, aber nicht im Affekt“ zu führen.
Es gibt ein neues Paradigma: Handle lieber rasch und unvollständig, statt spät und vollständig.
Die 3 I Regel
Auch beim Segeln auf Sicht braucht es Entscheidungen, Verbindlichkeit und Verantwortungsübernahme. Besser Sie treffen diese nicht einsam und allein, sondern auf Basis intensiver Interaktion im Team.
Agile, digitale Transformationen fördern Vielfalt. Daher kann es kein neues, einziges und überragendes Führungsparadigma mehr geben. Organisationen müssen also etwas dazu lernen, das ich die drei I Regel nenne.
Segeln auf Sicht ist:
- inkrementell: weil große Pläne schon veraltet sind, bevor sie erscheinen,
- interaktiv: weil einsame Helden mit ihrem Latein sonst zu schnell am Ende sind und
- iterativ: weil Komplexität nicht in einem einzigen großen Wurf bewältigt werden kann.
SCRUM
Eines der größten Missverständnisse in digitalen Transformationen ist die Gleichsetzung von Agilität mit SCRUM.
SCRUM ist ein agiles Framework, das sich exzellent zur Produktentwicklung eignet. Wenn von „agilem Projektmanagement“ die Rede ist, ist oft SCRUM gemeint. Dabei hat SCRUM streng genommen gar nichts mit Projekten zu tun – SCRUM ist eine teambasierte Organisationsform, die ursprünglich für die Entwicklung von Software-Produkten eingesetzt wurde. Die wichtigste Unterscheidung: Wann die Entwicklung des Produktes endet, wird im Gegensatz zu einem Projekt nicht bereits zu Beginn festgelegt, vielmehr wird das situativ auf Basis der Kundenwünsche und der Marktlage entschieden. Genau wegen dieses Unterschiedes eignet sich SCRUM auch so gut, um es als Framework für eine digitale Transformation zu nutzen.
SCRUM ist ein sehr leichtgewichtiges Rahmenwerk – der offizielle SCRUM Guide umfasst nur wenige Seiten – mit nur drei Rollen, vier wiederkehrenden Meetings und vier zentralen Artefakten.
SCRUM ist ein empirischer Prozess: Die Grundlage ist ein iteratives Vorgehen mit regelmäßigen Lieferungen neuer Funktionen an die Nutzer. Schnelles Kunden Feedback wird so zur Regel. Dadurch können Ergebnisse und Vorgehensweisen zeitnah überprüft und bei Bedarf angepasst werden. Jede Iteration, die bei SCRUM „Sprint“ genannt wird, hat den Zweck, Wert zu schaffen: Wert für den Kunden bzw. Nutzer und/oder Wert für das Team, indem es – auch durch Irrtümer – neue Erkenntnisse gewinnt.
Hüten sie sich vor Schnellschüssen, denn das SCRUM Framework ist bedeutungsvoll. Um von SCRUM zu profitieren, reicht es nicht aus, den feststehenden Transformationsplan in kurzen Iterationen abzuarbeiten, dem Transformations-Projektleiter eine neue Zertifizierung zu verordnen und einen neuen Titel zu geben.
Es ist ein Irrweg, die Regel-Meetings nur umzubenennen, bunte Klebezettel an die Wand zu heften und ansonsten alles beim Alten zu belassen. Den Kern von SCRUM bilden agile Werte und Prinzipien. Ohne diese Haltung ist SCRUM nur ein stumpfes Werkzeug und wird sein Potenzial nicht entfalten.
KANBAN
Kanban eignet sich sehr gut für das praktische Management von Veränderungen. Im Gegensatz zu einem „big-bang“ Change Management, das darauf aufbaut, dass eine erhebliche Veränderung, der sogenannte „urgent case of change“, am Beginn stehen muss, wird im Kanban ein bestehender Prozess in kleine Schritten unterteilt und damit der Transformationsprozess sanft vorangetrieben.
Weil viele kleine Änderungen durchgeführt werden, wird „das Neue“ für die Mitglieder einer Organisation an vielen Stellen erlebbar. Durch den Verzicht auf den einzelnen großen Wurf wird zudem das Risiko für ein Scheitern des Transformationsprozesses reduziert. Darüber hinaus führt der eher sanfte Stil von Kanban in der Regel zu weniger Widerständen bei den Beteiligten.
Der Kanban Experte Klaus Leopold nennt vier Grundprinzipien:
- Beginne mit dem, was du jetzt machst und dem was als nächstes ansteht
- Betreibe eine inkrementelle, evolutionäre Veränderung
- Respektiere die initialen Prozesse, Rollen, Verantwortlichkeiten und Job- Titel
- Fördere Führung auf allen Ebenen der Organisation
Man erkennt die fundamentale Idee eines Kanban Vorgehensmodells: etablierte Prozesse bleiben, Rollen und Teams bleiben weitgehend bestehen und es werden auch keine neuen Jobs erfunden. Einen Kanban Master sucht man vergebens.
Wer die digitale Transformation aus der Haltung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses und nicht als disruptiven "Überfall" betreiben will, für den ist Kanban ein nützliches Framework.
Design Thinking
ist ein vorgehen, das ebenfalls gut für die Arbeit in digitalen Transformationsprozessen geeignet ist. Lassen Sie sich vom Begriff aber nicht auf die falsche Fährte führen. Denn es geht beim „Design“ nicht darum, etwas „hübsch“ zu machen, sondern um Design in seiner ursprünglichen Bedeutung: als Prozess, der etwas Neuem eine Form gibt.
Mit dem Design-Thinking-Prozess soll es gelingen, Neues rasch und gut zum Kunden oder in eine Organisation zu bringen – und sich angesichts der Komplexität nicht in Managementroutinen zu verhaken.
In der alten kausalen Methodenwelt springt bei einem Problem die Lösungsmaschine an und generiert ein bis x Möglichkeiten. Diese Lösungsmaschine kennen Sie bestimmt unter dem Namen Brainstorming, Kreativitätstechnik oder auch Innovationsmanagement. Dann braucht es genauso ein bis x Meetings, um zu entscheiden, welche Möglichkeit das Problem am besten löst, und diese Möglichkeit wird dann „konsequent“ umgesetzt.
In der digitalen Transformation, wo ja Segeln auf Sicht angesagt ist, braucht es ein freies, kreatives Denken, wie es die Design-Profession seit jeher pflegt. In einem schrittweisen Vorgehen wird der Ideentrichter gefüllt. Vorher undenkbare Alternativen fallen plötzlich auf und neue Lösungswege zeichnen sich ab. Das gelingt umso besser, wenn bewusst auf Unterschiede ausgerichtete Teams gebildet werden und diese lernen ihre Unterschiede zu nutzen. Und die magische Zahl, die Sie dabei nicht vergessen dürfen, ist die Zahl sieben:
Sieben iterative Schritte hat der Weg:
- Das Ausgangsproblem verstehen und die passende Frage formulieren
- Das Umfeld erkunden, Betroffene befragen und das Feld neugierig beobachten
- Die Beobachtungen mit den Augen der idealtypischen Nutzer/Kunden zu Ideen zusammenfassen
- Die Ideen visuell, griffig und konkret sammeln
- Aus der aktuell den meisten Erfolg versprechenden Idee einen Prototypen entwickeln
- Den Prototypen im Feld bei Nutzern, Betroffenen und Kunden erproben
- Lösung/Produkt/Service herstellen und vertreiben
Iterativ bedeutet in der Design-Thinking-Darstellung, dass nach jedem Schritt eine Ziffer weiter- oder auch eine oder zwei Ziffern zurückgesprungen werden kann. Wenn nach der Zusammenfassung der Beobachtungen keine konkreten Ideen entstehen, wird von Schritt drei wieder an den Anfang gegangen und eine neue Frage formuliert. Oder falls der Prototyp bei den Betroffenen in Schritt sechs „durchfällt“, wird die zweite Idee ausgewählt (Schritt fünf) und dieser Prototyp entwickelt. Ein echter rückgekoppelter Prozess eben!
Bauen sie die Elemente des Design Thinking in Ihre Arbeit ein – und sie werden erleben, wie Neues entsteht, obwohl Sie Ihr Arbeitsverhalten nur ein wenig angepasst haben.