Der von mir sehr geschätzte Kollege Bernd Geropp hat mich zu einer blogparade über Führung eingeladen. Dieser Einladung folge ich gern und habe mich dabei auf eine der Hauptaufgaben, das „Entscheiden“ konzentriert:
Unentscheidbare Entscheidungen treffen
Führen heißt, das Unentscheidbare zu entscheiden, lautet die scheinbare Paradoxie, die wir Heinz von Förster verdanken. Denn das Entscheidbare ist ja schon entschieden, bereits in Form von Stellenbeschreibungen, „messerscharfen“ Schnittstellenpapieren, Anweisungen, Spielregeln und Vereinbarungen geregelt.
Daher wendet sich eine Führungskraft, die effektiv sein will, den Fragestellungen zu, die nicht bereits einer Regel unterliegen, sie wendet sich den unentscheidbaren Entscheidungen zu.
Das Auftreten unentscheidbarer Entscheidungen macht deutlich, dass eine Komplexitätsgrenze überschritten wird, ab der Verhalten und Fortgang eines Prozesses nicht mehr genau berechnet und geplant, sondern nur noch prognostiziert und situativ gesteuert werden können. Es gibt keine Checklisten mehr, an denen man sich festhalten kann. Eine Führungskraft, die mit einer unentscheidbaren Entscheidung konfrontiert ist, kann letztlich nur auf Erfahrungen aus vergleichbaren Situationen zurückgreifen. Zu führen bedeutet also, auf der Basis von Prognosen und des Abgleichs mit Erfahrungswissen Entscheidungen treffen. Dabei gehe ich immer das Risiko ein, „falsch“ zu entscheiden. Denn welche Alternative die wirklich „richtige ist“, kann ich bei einer unentscheidbaren Entscheidung nicht wissen.
In dieses unternehmerische Risiko zu gehen, das ist es, wozu Führungskräfte letztendlich bezahlt werden!
Denn eine unentscheidbare Entscheidung zu treffen bedeutet, unter mehreren sinnvollen und nützlichen Alternativen die auszuwählen, die man für die beste hält, und nicht die, die die objektiv beste ist. Die Führungskraft übernimmt Verantwortung für die Auswahl einer Alternative und steht zu den Konsequenzen.
Damit unterscheidet sie sich maßgeblich von den Managern, die sich bei ihrer ressourcenaufwendigen Suche nach KPIs und Benchmarks im Maschinenraum derart verlaufen, dass kein freier Blick auf Kurs und Seegang mehr möglich ist. Während Managementhelden bei der Sucherei im Maschinenraum nach objektiven Kriterien gieren, auf die sie dann ihre Entscheidungsverantwortung abschieben können, weil „die Daten ja gar nichts anderes hergeben“, zeigen Führungskräfte auf der Brücke ihre Ambiguitätstoleranz und treffen Entscheidungen, auch wenn es keine vollständige Datenlage gibt.
Wirksame Führung braucht die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten, Unterschiede oder Ungewissheit wahrzunehmen und nicht gleich negativ zu bewerten. Je höher die Ambiguitätstoleranz ausgeprägt ist, desto eher ist man in der Lage, etwas auszuhalten, was einem auf den ersten Blick schwer verständlich oder sogar inakzeptabel erscheint.
Führen Sie deshalb bewusst Unterschiede in ihren Arbeitsprozess ein. So schützen sie sich vor einfachen Wahrheiten, aalglatten Problemlösungen und vorschnellem Konsens. Eine hohe Ambiguitätstoleranz macht den Blick weit und frei für noch nicht entdeckte Alternativen und bisher als unmöglich abgetane Lösungsideen. So können verschiedene Interessen entdeckt und im Führungsprozess genutzt werden…
Praktische Klugheit
Wirksame Führungsentscheidungen brauchen die ganze Frau/den ganzen Mann mit allen bewussten und logischen genauso wie mit allen unbewussten und intuitiven Kompetenzen. Erfolgreiche Führungskräfte lösen sich deshalb von der Diffamierung der Bauchentscheidungen als Zufall, irrational und falsch. Ich schließe ich mich Wilhelm Backhausen an, der empfiehlt
„[…] aufmerksam auf die eigenen Gefühle zu achten, auf spontane affektive Reaktionen und Körperempfindungen, auch auf Bilder, die auftauchen, auf Metaphern, Geschichten, Märchen, Erinnerungen, die einfallen. All die angeblich so unwichtigen Ablenkungen sind vor allem zuerst zu bemerken und dann auf die ihnen vorgeschlagene Bedeutungsgebung zu prüfen. Dies ist der […] Prozess von Kreativität und Rationalität, der erst gemeinsam zu einer brauchbaren Entscheidungsfindung führt“.
Intuition ist nichts Esoterisches, und somit für den harten Führungsalltag unbrauchbar, sondern einfache, praktische Klugheit. Es handelt sich um implizites Wissen, das sich aus Erfahrung speist und Führungskräfte in die Lage versetzt, Bewertungen vorzunehmen, die von der praktischen Lebenserfahrung geleitet sind.
Guten Abend Herr Hinz,
„es gibt keine Checklisten mehr“, fürwahr! Gerade deshalb empfinde ich das Konzept der Intuition, welches Sie im dritten Prinzip beschreiben, so wertvoll. Tatsächlich unabdingbar, in komplexen Führungssituationen darauf zu vertrauen, frühere Erfahrungen, implizite Kompetenzen mögen einen zum „richtigen“ Handeln leiten. Ein spannendes Führungsprinzip innerhalb der Blogparade!
Beste Grüße sendet
Christine Paulus
Unentscheidbare Entscheidungen gibt es nicht. Entscheiden heißt Leiden – also immer Wählen aus Alternativen. Leider vernachlässigen wir häufig das „ordentliche“ Beschäftigen mit Alternativen – die Bildgestaltung !!