Weg vom Vertragsfetischismus

Hand aufs Herz: Wieviele juristische Dokumente, schriftliche Vereinbarungen, Aktennotizen und „Absicherungsmemos“ mit dem Verteiler „reply to all“ haben sie in der letzten Woche bearbeitet?

Bereits an anderer Stelle hatte ich auf Dan Ariely und seinen Kommentar im Harvard Business Manager hingewiesen. Dan beschäftigt sich dort mit der irrigen Idee, Verträge könnten Vertrauen im Geschäftsleben ersetzen:

Es gibt „[..] zwei Möglichkeiten. Sie können mich entweder fragen, ob ich mit Ihnen kooperieren möchte, und mir per Handschlag versprechen, mich zu gegebener Zeit für meine Mühen zu entlohnen. Oder Sie können einen Vertrag vorbereiten, der meine Pflichten und Bezahlung genau regelt und spezifiziert, an wen das entstehende geistige Eigentum übergeht und so weiter. Es dürfte auf der Hand liegen, wofür sich die meisten von Ihnen lieber entscheiden würden. Und doch meint der überwiegende Teil der Geschäftsleute, der zweite Weg, einen kompletten Vertrag aufzusetzen, sei der eigentlich richtige im Wirtschaftsleben.“

Ich kann Dan nur zustimmen:

„..vollständige Verträge haben ihre Tücken. Die Wirtschaft wird immer abhängiger davon, sich durch absurd detaillierte Regeln gegen alle Eventualitäten abzusichern – oft grenzt das Streben danach geradezu an Fetischismus.“

Denn wer versucht, Unsicherheit mit Verträgen, Plänen und Tools wegzukalkulieren wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nur Anreize für andere schaffen, die Lücken dieser Tools auszunutzen, statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Insbesondere die immer ausgefeilteren Anreiz- und Vergütungssysteme, die heute Bestandteil fast aller Arbeitsverträge sind, haben doch nicht wirklich zu besserer Zielerreichung geführt, sondern zu einem Strohfeuer.

Wie die Lösung vom Vertragsfetischismus gelingt und  Führungskräfte für sich festen Boden gewinnen, wenn Unsicherheit und Risiko herrschen, zeige ich in meinem aktuellen Beitrag „Management des Ungewissen“ in der Zeitschrift managerseminare.

Denn Management von Risiko und Unsicherheit ist die zentrale Führungsaufgabe und kann nicht an formale Konstrukte „delegiert“ werden, seien Sie nun

  • Pläne, die unbedingt eingehalten werden müssen
  • Verträge, die alle denkbaren Möglichkeiten regeln wollen oder
  • Projektaufträge, die Verschulden schon zu Beginn nur einem Partner zuweisen (ein beliebter Modus im Hochbau oder Anlagenbau).

1 Kommentar zu „Weg vom Vertragsfetischismus“

  1. Einer meiner Kunden hat bei unserem ersten Zusammentreffen gesagt: „In der Konzernzentrale stehen 10 Aktenordner, die den Vertrag zwischen unseren beiden Unternehmen beinhalten. Sollten wir jemals dort hineinschauen müssen, haben wir beide etwas falsch gemacht“. Glücklicher- (und nach diesem Eingangsstatement fast logischer-)weise ist es dazu nie gekommen.

    Auch als Projektleiter bekomme ich meist schon nach wenigen Minuten Beschäftigung zu einem neuen Projekt einen Eindruck, „wie es laufen wird“, der meist erstaunlich gut zutrifft. Kann Anteile von „self fulfilling prophecy“ haben, ich denke aber, eine wesentlicher Anteil ist die Wahrnehmnung von Partnerschaft in der Projektbeziehung – oder eben deren Fehlen.

    Ganz auf Verschriftlichung verzichten würde ich dennoch nicht, da es bei unterschiedlichem Sachkundestand der Beteiligten doch zu Missverständnissen kommen kann und der Akt des Aufschreibens hilft, auf die wesentlichen Parameter zu fokussieren. Mit Partnerschaft an Bord braucht das allerdings kein Vertragskonvolut zu werden.

    zu guter Letzt: Wo Partnerschaftlichkeit und Vertrauen fehlen, hilft kein noch so guter Vertrag.

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