…jedenfalls eine wohl dosierte Portion davon. Diesen Eindruck habe ich jedenfalls, wenn ich einige der „Klassiker“ im Change Management ansehe:
John Kotter spricht in seinem berühmten Aufsatz über die acht Kardinalfehler bei der Transformation (1) davon „ein ausreichendes Gespür für Dringlichkeit zu erzeugen“. Er berichtet: „Bei einigen der erfolgreichsten Fälle führte eine interne Gruppe eine Krise künstlich herbei. So konstruierte der CEO vorsätzlich den größten Buchverlust der Geschichte des Unternehmens und löste damit einen enormen Druck von Kapitalmarkt aus“.
Ed Schein, emeritierter Professor am MIT, sagt in einem Interview mit dem Harvard Business Manager (2): „Wenn Führungskräfte wirklich Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiter Neues lernen, dann müssen sie ihnen die wirtschaftlichen Notwendigkeiten glaubwürdig vermitteln. Schafft das Management dies, dann kann es die Art von Angst erzeugen, die eine sichere Lernumgebung ermöglicht.“
Prof. Steyrer und Dr. Heupl von der Universität Wien berichten in ihrem Beitrag „Do‘s and Dont’s im Change Management“ (3) von folgenden Untersuchungsergebnissen: „Am Beginn steht also Angst: Angst, die durch eine veritable existenzielle Krise oder aber auch durch einen bedrohlichen Feind ausgelöst wird“
Aber führt Angst nicht zu Blockade, Ausweichen oder gar Flucht? Also genau dem Gegenteil, was bei einer erfolgreichen Transformation erreicht werden soll: Einbindung und erfolgreiche Umsetzung…
Meine Erfahrung ist: Damit in einem Unternehmen ein Anlass für eine Veränderung gesehen wird, bedarf es einer Intervention, die in der Organisation ein Gefühl der Bedrohung, oder hoher Unzufriedenheit auslöst. Die Menschen im Unternehmen treibt dann die Einschätzung: „wenn ich mich nicht ändere, werde ich mit dieser Organisation beruflich nicht überleben“.
Wenn die Notwendigkeit der Veränderung einmal erkannt ist, also die Daten nicht mehr geleugnet oder abgewehrt werden können, entstehen die sog. Überlebensangst bzw. das Schuldgefühl, warum man sich nicht schon viel früher aktiv verändert hat. Jetzt wird es als zwingend notwendig angesehen, dass eine Veränderung eintritt!
In dem Augenblick, in dem eingesehen wird, dass alte Denkmuster und Gewohnheiten aufgegeben und neue gelernt werden müssen, entsteht aber auch Lernangst:
- Angst vor vorübergehender Inkompetenz (denn das Neue kann ich ja noch nicht)
- Angst, wegen dieser Inkompetenz bestraft zu werden
- Angst vor dem Verlust der persönlichen Identität (wenn ich es nicht lernen werde)
- Angst vor dem Verlust der Gruppenzugehörigkeit (weil ich nicht mehr nützlich bin)
Und hier kommt dann wirksames Change Management ins Spiel. Führungskräfte, die als Agenten des Wandels agieren, achten darauf, dass die „Angst“ positiv genutzt wird, indem ihre Führung auf die Zunahme der Handlungskompetenz der Mitarbeiter konzentriert ist. Dies geschieht, wenn drei Prinzipien erfüllt sind:
- Die Überlebensangst ist größer als die Lernangst.
- Ein verbindlicher Veränderungsprozess wird begonnen und offen kommuniziert.
- Der Prozess schafft psychologische Sicherheit bei den Beteiligten, indem er die Lernangst durch konkrete Maßnahmen verringert.
So schwenkt das Veränderungsprojekt auf einen Pfad ein, in dem eine Vielzahl abgestimmter Maßnahmen das Lernen ermöglicht und die notwendigen Kompetenzen bildet. Die Lernangst geht zurück, neue Wege werden beschritten und in der Folge weicht auch der Veränderungsdruck/ die Überlebensangst neuen Chancen und Perspektiven.
Ed Schein empfiehlt daher den Führungskräften: „wir sollten auch nicht vergessen, dass Macht und Zwang immer schon zum Lernen gehörten. Wir sollten uns auf die Gültigkeit und Qualität dessen konzentrieren, was wir vermitteln wollen. Wenn wir unsere Ziele rechtfertigen können und wenn wir es schaffen, dass der Einzelne den Lernprozess akzeptiert, dann scheint Zwangsüberzeugung nicht nur nützlich zu sein, sondern auch vollkommen legitim.“
Was denken Sie?
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(1)John Kotter, Acht Kardinalfehler bei der Transformation, Harvard Business Manager, 3/ 1995
(2)Ed Schein, Blut, Schweiß und Tränen – von der Angst zu lernen, Harvard Business Manager, 5/ 2002
(3)Johannes Steyrer, Wilfried Heupl, Do‘s and Dont’s im Change Management, Organisationsentwicklung, 1/ 2011
Hallo Herr Hinz,
ihr Blogbeitrag findet in einem anderen „wording“ meine Zustimmung. Ich persönlich würde lieber von der „Abwesenheit einer selbstverständlichen Sicherheit“ sprechen, da der Begriff Angst zu stark negativ behaftet ist (siehe Auswirkungen Zitat unten).
Kritik an „Motivation durch Angst“
Die immer verbreitetere „Motivation durch Angst“ in Unternehmen kritisiert Hans Finder, Arzt, Psychotherapeut und Trainer im Management College in Salzburg. Er ist überzeugt, dass viele Chefs nicht über die nötigen Qualitäten verfügen, um Menschen zu führen.
„Angst macht dumm“
„Die Motivation durch Angst, die im Moment wirklich in unserer Kultur immer weiter greift, halte ich für eine ganz bedenkliche Richtung, weil Angst – langfristig gesehen – dumm macht“, sagt Finder.
Wenig Angst bei den Mitarbeitern sei auch im Interesse der Unternehmen, ergänzt Finder. Er glaubt, „dass die Motivation durch Wertschätzung, durch Lob, durch eine Firmenkultur, hinter der man auch stehen kann, mit der man sich identifizieren kann, wenn man langfristig schaut – über eine Generation oder zwei -, sicher erfolgreicher ist.“
Wenn die Mitarbeiter -und man selber- sich generell bewußt sind, daß der lebenslange Sicherheits(arbeits)vertrag mit dem Unternehmen (hier denke ich insbesondere an Traditionsunternehmen, die regional prägenden Einfluß haben) der Vergangenheit angehört und ohne Bewegung der eigenen Person, sowohl physisch als auch psychisch, keine Entwicklung stattfinden wird, dann ist der Schritt zur Veränderung akzeptiert. Und dies auch bei unangenehmen Randbedingungen.
Vielen Dank, lieber Herr Gebhardt. Ich stimme Hans Finder zu: Angst macht dumm, oder wie der Volksmund sagt: „fressen Seele auf“.
Auch der Prozess, den sie in ihrem Post nennen, funktioniert und ich kenne ihn.
Aber 🙂 genauso ist es beobachtbar, das zu Beginn eines erfolgreichen Change Prozesses kaum Apelle oder aus intrinsischer Motivation kommende Selbstverpflichtungen der Mannschaft standen, sondern ein „bedrohlicher“ Case of Change.
Ziel wirksamer Führung war es dann immer, die anfängliche Überlebensangst mit
– einer positiven Vision
– beweglichen Zielen
– Training und Beratung
– Systemen und Strukturen zur Belohnung und Bestrafung und
– regelmäßiger und verlässlicher Information
zu bearbeiten.
Mein Fazit: Der „Schuß vor den Bug“ scheint notwendig…
Not macht erfinderisch habe ich mir schon als Kind sagen lassen. Diese Not hat sicher oft auch die Angst als Mitbegleiter und möglicherweise Mithelfer gehabt. Solange die Angst nicht blockiert, sondern sich zu einem konstruktiven Retter mausert, kann sie hilfreich sein. Die Gratwanderung bei diesem Thema bleibt aber.
Guten Abend Herr Hinz,
„Angst ist ein schlechter Ratgeber“, sagt der Volksmund. Angst macht korumpierbar.
M.E. wird immer noch viel zu sehr auf Angst als Mittel zur „Motivation“ gesetzt. Dabei wissen wir, dass Angst genau aus den Hirnregionen stammt, die stammesgeschichtlich uralt sind und den Anforderungen komplexer Systeme wie intenational agierenden Unternehmungen wohl kaum gewachsen sind. Angst kennt die drei natürliche Reaktionen: Angriff – Flucht – Starre. Alle drei Reaktionsmuster sind ungeeignet. Wäre es also nicht besser, Wege zu finden, die Angst zu überwinden, um auf diese Weise wieder kompetent zu werden? Und sollten wir uns vielleicht sogar von Führungskräften und verantwortlichen Entscheidungsträgern, die sich Angst machen lassen, ganz schnell trennen?
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Wittig
Hallo Herr Hinz,
Ich kann mich den Vorrednern nur begrenzt anschließen. Wenn die Lage ernst wird, ist Angst ein probates Mittel. Niemandem nützt es, wenn die Führungskraft erst einmal überlegen muss, ob der Begriff Angst irgendwie belegt ist. Im Zweifel ist er es und das ist Gut so. Sollten die eigenen Mitarbeiter Angst haben, so muss sich die Führungskraft, die diese nicht spürt die Frage stellen warum das so ist – außer sie setzt diese ein. Wir alle haben gelernt, alle Methodiker, rethorischen und dialektischen Schlachten zu schlagen (im positiven Sinne gemeint). Warum müssen wir stoppen an diesem Punkt? Angst als probates Mittel, Veränderungen zu bewirken ist politisch korrekt, so wie Lob und Anschlagen der hohen Töne auf der Klaviatur der Motivation. Ich hoffe ein gesundes Angstpotential bleibt mir persönlich erhalten. Wenn mal einer bei 10 Windstärken auf einem 11m Segelboot den Jadebusen auf der Kürzesten Strecke durchquert hat, weiß was ich meine. In solchen Momenten sind alle Sinne online und die Crew muss verglichen mit ruhiger See etwas verändern. Sonst bleibt Willhelmshaven aus Bremerhaven kommend ein Punkt auf der Karte und der Autopilot hilft auch nicht. In der Hoffnung den Respekt vor der Angst zu bewahren… SJ
Vielen Dank für Ihre ausführlichen Kommentare, die mir genauso wie @Hrn. Wenzel zeigen, das es bei Angst & Veränderung um ein „Gratwanderungsthema“ geht. Genau dies zu thematisieren, war die Absicht!
@Hr.Wittig: natürlich gibt es die unzweifelhaften Reaktionen aus dem Reptiliengehirn. Das, was ich an Gedanken von „Vordenkern“ des Change Managments hier vorgestellt habe, z.B. das Lernangst/ Veränderungsangst Konzept von Ed Schein, stellt aber m.E. nicht auf diesen reflexhaften Mechanismus ab.
Wer in typischen Unternehmenskontexten häufig in das von Ihnen geschilderte Muster zurückfiele, sollte tatsächlich seine Wirkung als Manager überprüfen…
Ich bin eher bei @Hr. Jungclaus, dass ein anfängliches Empfinden von „Angst“ (in der Bedeutung, wie es der Blogeintrag meint) Aufmerksamkeit und Achtsamkeit erregt. Und dann bin ich voll bei Ihnen, dann ist Respekt, eine wache Selbstbeobachtung und -möchte ich hinzufügen- eine sehr hohe Prozesssteuerungsfähigkeit gefragt, damit die Energie und Gruppendynamik auch sinnvoll für das Ziel der Transformation/ des Wandels genutzt werden kann.
Hallo Olaf
Zuerst mal gratuliere ich Dir zu den vielen engagierten Kommentaren. Mit diesem Beitrag scheinst Du den Nerv vieler getroffen zu haben. Meine Meinung dazu: Es braucht deutlichen, auch subjektiv wahrgenommenen Leidensdruck (was häufig gleichbedeutend mit Angst ist). Damit aber nicht die in einem Kommentar erwähnte Reaktion „Starre“ (auch als „Todstellreflex“ bekannt) eintritt, braucht es auch die anziehende Kraft einer besseren Alternative. Das ist klassischerweise eine gemeinsame getragene Vision, zu mindest aber die Überzeugung, es kann nur besser werden. Meiner Erfahrung nach ist bei dieser Kraft entscheidend, dass die Leute ein möglichst klare Vorstellung bekommen, wie es dann sein wird bzw. worauf sie sich da einlassen. Je nach Firmenkultur und je nach Phase im Changeprozess, gilt es dann mit diesen Kräften geschickt zu arbeiten.
Herzliche Grüsse aus der CH
Dani Rey
hi Olaf,
tja, das wollen zwar viele – vor allem sozialromantiker nicht gerne hören – aber ich denke es ist genau so, dass immer angst im spiel ist.
damit meine ich nicht eine gesellschaft von depressiven und psychopathen, sondern im grunde kann man wahrscheinlich alle (inneren) treiber und motivatoren auch auf ängste zurück führen.
für change finde ich den ansatz der „komfort-zone“ hilfreich: der größte teil der menschen bleibt gerne in ihrer komfort zone. nur ein kleiner anteil versucht sie permanent auszuweiten oder zu verlassen – das sind thrill-seekers, abenteurer, extremerfahrungen und …change-driver. aber selbst die – könnte man sagen – agieren auch aus einer tiefliegenden angst: NICHT das neue zu entdecken, NICHT den nächsten kick zu spüren, NICHT die anerkennung für das erreichte zu erlangen.
conclusio:
den guten alten frosch im kochtopf gibt es wirklich und er ist allzu menschlich.
sunshine!
Jan A. Poczynek
und wer auch bei XING ist, kann auch hier mal hineinschauen
https://www.xing.com/net/prifc7cd2x/changemanagement/veranderungsprozesse-105/wirksame-veranderungen-brauchen-angst-35650913/35650913/#35650913
Braucht eine erfolgreiche Veränderung zum Beginn mehr Angst unter den Beteiligten, damit alle aufwachen und mitziehen? Diese -von einigen Vordenkern des Change Managements vertretene- These hatte ich in diesem Blog als Frage vorgestellt und einige Resonanz erhalten.
Für mich bleibt die Beschäftigung mit diesem Themenkomplex „Work in Progress“.
Mein aktueller Befund ist: Es braucht keine Angst (zusätzlich) erzeugt zu werden, damit Veränderung wirksam ist, denn Veränderungen sind (fast immer) von Emotionen begleitet. Was es aber braucht, sind neue Orte und Vorgehensmodelle, die Angst und Widerstand gut bearbeiten können. Ein solches neues Vorgehensmodell ist z.B. die Theorie U, die im nächsten Blogbeitrag vorgestellt wird.
Angst als Mittel zum Zweck zu akzeptieren (z.B. um Veränderung herbeizuführen); zeugt von einer geringen Innovations- und Vorstellungs- und Führungskraft. Sicher – Angst ist ein Motivator, so wie viele andere Gefühle (emotions) oder Anreize auch. Sie ist aber sicher einer der schlechtesten Motivatoren.
Wer meint, Mitarbeiter benötigten einen „Schuss vor den Bug“, der offenbart, dass er sie für Kinder hält oder ihnen sonst irgendwie nur mindere Auffassungsgabe zuschreibt. Wenn er sie nicht gar für Feinde hält… warum sonst militärische Metaphern?
Mit anderen Worten: Wenn Angst das probate Mittel zu sein scheint, dann muss vorher schon eine Menge schief gegangen sein und dann wird auch „the change“ keine gute Veränderung bringen.