Entweder man hat es, oder man hat es nicht! So oder ähnlich beginnen die meisten Erzählungen über „geborene“ Führungskräfte. Hat man Führung also im Blut bzw. entwickelt die wesentlichen Eigenschaften dafür früh im Leben? Nein, das ist ein grandioser Irrtum!
Die Verfechter der historischen Great Man Theory interessieren sich für angeborene, stabile Eigenschaften, die eine Führungsperson von ihren Mitarbeitern unterscheiden und die mit wirtschaftlichen Erfolgsgrößen in einem Zusammenhang stehen. Unterschiedliche Studien in diesem Feld berichten von 10 bis zu 100 Eigenschaften (einen guten Überblick dazu findet man bei Lippmann et al. „Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte: Führungskompetenz und Führungswissen“).
Und wie das häufig ist, halten sich alte und bekannte Modelle lange Zeit im Bewusstsein. So ergibt die google Suche nach Eigenschaften guter Führungskräfte noch über eine Million Einträge.
Aber die Suche nach den Eigenschaften ist nur die eine Seite der Medaille. Denn der Fokus auf Eigenschaften vernachlässigt die wechselseitige Beeinflussung, die in jeder Führungsbeziehung zwischen und Führungskräften und Mitarbeitenden herrscht.
Führungskraft und Mitarbeiter gestalten gemeinsam den sozialen Prozess „Führung“ und seinen Erfolg.
Wenn Führung ein sozialer Prozess ist, dann kann sein Erfolg kein definiertes Set von festen Eigenschaften sein, sondern ein kontinuierlicher Weg des gemeinsamen Handelns, Lernens und Veränderns. Dieser Weg ist aber voraussetzungsvoll und kann auch nicht jedem empfohlen werden.
Am Anfang steht die wichtige Weggabelung und die Frage nach der Führungsneigung: Warum will ich Führungskraft sein?
Staehle definiert in seinem lesenswerten Buch Management: Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive Führung als die „…Beeinflussung des Verhaltens von Einzelpersonen sowie der Interaktion in und zwischen Gruppen mit dem Zweck, bestimmte Ziele zu erreichen.“
Eine Frage, die sich aktuelle und potenzielle Führungskräfte daher stellen müssen, ist die des Warum? Warum will ich andere anleiten, beeinflussen, fordern, fördern, steuern, kontrollieren, beurteilen, loben, sanktionieren,…?
Führung ist vor allem ein sozialer und zwischenmenschlicher Prozess. Gute und erfolgreiche Führungskräfte besitzen daher eine Verantwortungsethik, also Werte und Normen (oder auch Tugenden), die ihr Handeln begleiten und eine Haltung die auf Interaktion, Kommunikation und Entscheidungsprozesse ausgelegt sind.
Ich nenne diese Haltung „seemännische Gelassenheit“: Ein erfahrener Kapitän redet seiner Mannschaft niemals einen aufziehenden Sturm schön, beordert aber auch nicht alle Mann an Deck und verteilt Schwimmwesten. Vielmehr erwartet er Stürme sowie unvorhergesehene Probleme und begegnet ihnen wach und gelassen.
Eine seemännisch gelassene Führungskraft handelt hellwach, konzentriert, gut vorbereitet und unter Einsatz all ihres Erfahrungs- und Methodenwissens – aber stets in der Führungsrolle und nicht als Funktionär irgendeiner Managementschule. Kernelement ist das Verhalten der Führungskraft selbst und nicht die Methoden und Techniken, die sie anwendet. Die bleiben, was sie sind: Methoden der Unterstützung.
Die gute Nachricht für alle, die an der Weggabelung der Führungsneigung gesagt haben, dass sie Führung übernehmen wollen: Führung kann man lernen!
Führung bedeutet den kontinuierlichen Weg des gemeinsamen Handelns, Lernens, wacher Selbstbeobachtung und stetiger Veränderung einzuschlagen. Auf diesem Weg treffe ich oft die Helden, die alles von der Pike auf selbst lernen und alle Erfahrungen selbst machen wollen. Ich finde das tapfer, aber nicht klug!
Ich rate dazu, fundiertes Wissen über den sozialen Prozess der Führung kennen zu lernen und dann mit diesem Wissen in die Interaktion der eigenen Führungsarbeit zu gehen. Dazu sind Curricula, die Fähigkeiten formen (z.B. wirksame Kommunikation, Verhalten bei Interessengegensätzen/ Konflikten, Ziele formulieren, Umgang mit Emotionen, Eingriffe in Teamdynamik,…) und in der Interaktion einer Lerngruppe weiter entwickeln, eine wirksame Möglichkeit…
Dieser Beitrag ist Teil der Serie 10 Irrtümer über Führung. Ich schaue dort hinter die gängigen Mythen über das Leben und Arbeiten in der Managementetage. Denn entgegen der aktuellen Bestsellerliteratur, die vor allem auf das „Bashing“ setzt, glaube ich nicht, dass nur Karrieristen, Machtmenschen und andere »Irre« zur Führung geboren sind. Ganz entscheidend ist die richtige Haltung: Dann wird Einfluss wichtiger als Macht und eine Führungskraft kann wirkungsvoll tätig sein.
Ein Überblick über alle Beiträge ist hier zu finden…
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