Statt vollständig und zu spät, lieber rasch und unvollständig kommunizieren

4. von 11 Prinzipien für Führung bei Ungewissheit

Sie wollen aktiv kommunizieren und haben extra ein Video/ einen podcast gemacht und im Intranet veröffentlicht. Sie haben es doch im letzten Meeting zweimal gesagt und deutlich betont. Die Mail ging doch an alle und sogar mit der Kennzeichnung wichtig.
Ihre Tür ist doch immer offen für Fragen.
…und trotzdem passiert es immer häufiger, dass Mitarbeitende es „nicht wussten“

Das Sender-Empfänger Modell hat ausgedient

Natürlich wissen wir alle, dass Kommunikation kein einfacher Vorgang ist und dieser öfter misslingt, als wir es uns wünschen. Das liegt auch daran, dass die meisten Personen immer noch mit dem trivialen Modell der Zwei-Wege-Kommunikation von Sender und Empfänger hantieren. Aber so einfach liegen die Dinge leider nicht. Dem großen deutschen Soziologen Niklas Luhmann verdanken wir eine Erweiterung des trivialen Kommunikationsbegriffs, der uns zum Kern der Führungsaufgabe bringt. In Luhmanns Modell ist Kommunikation nicht nur einfach das Herüberschicken einer Information vom Sender zum Empfänger, sondern beide haben die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten.

Wenn eine Person mit einer anderen kommuniziert, dann haben beide insgesamt drei Selektionsentscheidungen zu treffen. Der Sender muss wählen, welche Information er weitergeben und wie er diese Information mitteilen will. Der Empfänger seinerseits muss dann diese Mitteilung des Senders annehmen und „verstehen“. Luhmanns Modell stellt die Verantwortung für wirksame Kommunikation also auf völlig andere Füße als das triviale Sender-Empfänger-Modell. Nicht die Absicht eines Senders zu kommunizieren entscheidet über den Kommunikationserfolg, sondern die Entscheidung des Empfängers, ob er die Mitteilung des Senders auch als mitgeteilte Information auswählt.

Wir alle kennen das. Aus der Informationsflut, die uns täglich über alle Kanäle erreicht, wählen wir nur einen Bruchteil aus. Das sind die gesendeten Mitteilungen, die wir als solche verarbeiten und „verstehen“. Alle anderen Mitteilungen gehen im Informationsrauschen unter. Der Empfänger ist der Boss, nur er entscheidet, ob Kommunikation gelingt und die Information den Adressaten erreicht.

Sieben Tipps für wirksame Kommunikatoren

Die folgenden sieben Tipps helfen Ihnen, eine aktive, lebendige und adressatengerechte Kommunikationspolitik erfolgreich zu inszenieren:

  1. Erfolgreiche Kommunikatoren erkunden vorher
    Gut kommuniziert nur, wer vorher erkundet, wie der Adressatenkreis eingestellt ist. Nur so kann die Kommunikation ausgerichtet und so verpackt werden, dass die Botschaft ankommt. Denn der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler!
  2. Führen heißt sagen, was ist
    Lücken in der Kommunikation, Schweigen und einseitige Stellungnahmen, für die kein Platz zur Diskussion eingeräumt wird, werden von den Empfängern mit eigenen Fantasien und Interpretationen ergänzt, d.h. gemäß den eigenen (Vor-)Urteilen aufgefüllt. Nur wer selbst aktiv kommuniziert, kann dafür sorgen, dass er seine Mitteilung anbringt!
  3. Es gibt keine neutrale Kommunikation
    Jede Mitteilung will erreichen, dass sie vom Empfänger selektiert wird! Je feiner die Mitteilung inszeniert ist, desto stärker ist die Absicht, selektiert zu werden. Lassen Sie sich also nicht verunsichern, wenn Ihre Inszenierung negativ kommentiert wird. Seien Sie eher auf der Hut, wenn jemand den Versuch der Inszenierung der eigenen Mitteilung in Abrede stellt oder verschleiert …
  4. Jeder hört, was er hören will
    Je emotionaler die Situation, desto größer ist die Gefahr der selektiven Wahrnehmung. Dies geschieht meist unter dem Einfluss von zwei Faktoren: Glaubwürdigkeit des Senders und Vorerfahrungen des Empfängers; auf der Seite des Senders haben sie direkten Einfluss …
  5. Kommunikation lebt vom lebendigen Dialog
    Je motivierender eine Mitteilung sein soll, je mehr die wirklichen Interessen der Empfänger berührt werden sollen, d.h. je emotional aufgeladener eine Situation ist, desto notwendiger ist ein echter Dialog. Nur im echten – d.h. durch aktives Zuhören und wahrhaftiges Aussprechen gekennzeichneten – Dialog klären sich Interessen, Ziele, Hoffnungen und Befürchtungen. Je mehr wir uns in der Praxis vor einer direkten Begegnung und Auseinandersetzung fürchten, desto eher ist ein Dialog angesagt.
  6. Der Appetit kommt beim Essen
    Nur informierte Mitarbeiter sind engagierte Mitarbeiter. Mit wachsender Intensität nehmen aber auch die Forderungen an den Sender zu, noch etwas „Neues“ zu bieten. Oder anders: Wer informiert ist, ist eher unruhig, weil er besondere Inszenierungen erwartet.
    Aber Vorsicht vor Stereotypen; viele Menschen reagieren gereizt auf Wiederholungen und sind danach nur schwer zugänglich!

    und:
  7. Es ist fast immer zu spät
    Wer im üblichen Chaos des Tagesgeschäfts stets vollständig und schön der Reihe nach kommunizieren will, kommt im Strudel der Ereignisse fast immer zu spät. Meist ist es deshalb besser, unvollständig, aber zügig zu kommunizieren. Aber das Unwohlsein wird bleiben: früh, aber unvollständig – oder spät, aber dafür vollständig

Insbesondere der siebte Tipp konfrontiert Führungskräfte mit alten, mächtigen Mustern und mobilisiert ihren Widerstand. Denn in der heilen, vorhersagbaren Welt der traditionellen Managementausbildung ist unvollständige Information natürlich ein No-Go. Da würden Mitarbeiter abwinken und natürlich erwarten, dass der Chef erst dann mit den Dingen um die Ecke kommt, wenn sie auch ausgegoren sind. In der aktuellen Welt der Beschleunigung, der Trendbrüche und zunehmenden Ungewissheit ist aber das Unausgegorene meist das einzige Informationspaket, das zur Verfügung steht.
Sie werden es bemerken: Mitarbeitende vertragen Unausgegorenes. Meist sind sie dankbar, dass „die da oben“ endlich das aussprechen, was „wir da unten“ sowieso schon ahnen oder wissen. Sie haben es mit erwachsenen und selbstständigen Mitarbeitern zu tun, die Sie nicht beschützen müssen. Im Gegenteil, was wäre es für eine Zumutung, wenn Sie die echten (keine Gerüchte und Parolen) Informationen, die sie haben, nicht weitergeben.

Mitarbeiter sind keine Kinder und Führungskräfte keine Eltern – das ist der Kern von Führung auf Augenhöhe unter Ungewissheit!

wirksame Botschaften

Es ist eine Binsenweisheit: Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Das ist der Kern der eben vorgestellten Drei-Wege-Kommunikation nach Luhmann.
Trotzdem reden die allermeisten Manager, wenn sie eine neue Initiative in ihrer Organisation vorstellen, lieber von sich und ihrer herausragenden Entscheidung als von dem Nutzen für die Menschen, die das im Unternehmen umsetzen. In langweiligen E-Mails („a letter from the CEO“), Meetings, bei denen der Redeanteil der Manager bei über 85 % liegt, gestylten Imagevideos und PowerPoint-Präsentationen senden sie nur in eine Richtung und verlassen meistens dann die Bühne, wenn die Interaktion mit dem Publikum beginnen könnte.
Dagegen planen wirksame Kapitäne die Inszenierung ihrer Informationspolitik bewusst und reden nicht nur einfach so drauflos. Der Berater-Berater Giso Weyand kennt die fünf Kriterien, die eine wirksame Führungskommunikation erfüllen muss:

1. Sie erzielt Aufmerksamkeit.

2. Sie hält die Spannung bis zum Schluss.

3. Sie ist verständlich.

4. Die Botschaft muss enthalten sein.

5. Sie löst einen Impuls aus.

Besonders die letzten beiden Punkte machen einen Unterschied zu den Wegen, die viele heute noch nutzen. Wirksame Imformationspolitik informiert nicht nur spannend und verständlich, das ist gut gemachte Managementkommunikation heute auch. Was die abgestimmte Informationspolitik eines wirksamen Kapitäns und seiner Mannschaft von den üblichen PowerPoint-Schlachten unterscheidet, ist:

  • Sie hat eine Botschaft, d.h. etwas zu sagen, was die Adressaten als sinnvoll und nützlich ansehen. Diese Botschaft macht aufmerksam und im besten Wortsinn „hellhörig“.
  • Sie (be-)trifft die Adressaten und löst bei ihnen einen Handlungsimpuls aus, statt nur zu verkündigen, was der Sender für wichtig hält..

Eine Botschaft zu entwickeln, die einen Handlungsimpuls auslöst, weil sie als sinnvoll und nützlich angesehen wird, ist harte Arbeit. Während dabei häufig der Fehler gemacht wird, die Argumente, die zu einer Entscheidung geführt haben, schlicht auch zur Botschaft zu erklären, handeln wirksame Kapitäne klüger. Giso Weyand vergleicht dies mit dem Brennen von Schnaps:

„In einem mehrstufigen Brennprozess wird am Ende das Edelste, nämlich die Essenz abgesetzt. (…) Das sind zwei oder drei Elemente, die [den Kern] ausmachen. Ich nenne diese Essenz Botschaftslinie, weil sie meist nicht nur aus einer einzigen Botschaft, sondern aus einer Linie von zwei oder drei guten Botschaften besteht, die gemeinsam eine unverwechselbare Einheit bilden.“

Mit den folgenden Reflexionsfragen leiten Sie diesen mehrstufigen Brennprozess ein – probieren Sie es aus:

  • Wenn wir unsere Initiative mit nur einem Satz beschreiben sollen – wie lautet er?
  • Welche drei Punkte machen diese Initiative besonders?
  • Ist der einzige Satz, der unsere Initiative beschreibt, allgemein verständlich, einfach und sachlich formuliert (und versucht eben nicht alle Facetten wiederzugeben)?
  • Die drei genannten Punkte wirken so interessant, dass Adressaten nachfragen und mehr wissen wollen?

Dieser Blogbeitrag ist Teil einer elfteiligen Serie in der die Aufforderung ergeht, Ihr bisheriges Repertoire zu erweitern und bewährtes Führungswerkzeug zu ergänzen. Denn in einer Welt der Mehrdeutigkeit kann es kein neues, einziges und überragendes Führungsparadigma mehr geben. Über diesen elf Aufforderungen, etwas dazuzulernen, „thront“ ein Prinzip, auf dem das „Segeln auf Sicht“ sich gründet: die Drei-I-Regel

Führung unter Ungewissheit ist
a) inkrementell: weil große Pläne schon veraltet sind, bevor sie erscheinen;
b) interaktiv: weil einsame Helden mit ihrem Latein im VUCA-Wetter am Ende sind;
c) iterativ: weil Komplexität nicht in einem Zug bewältigt werden kann.

2 Kommentare zu „Statt vollständig und zu spät, lieber rasch und unvollständig kommunizieren“

  1. Wie immer sind Deine Refelxionen, Ausagen und Impulse treffend, praktisch und theoretisch untermauert. Gerade Pkt. 7 ist besonders zu betonen, denn das „Unausgegorenen“ macht ja erst möglich, dass neue Essenzen (Ideen, Befürchtungen, Erweiterungen) die Qualität des Ergebnisses erhöht.
    Zu Deinen Überlegungen der wirksamen Botschaften machen deutlich, das man aus der Paradoxie der Kommunikation (der Empfänger, die Empfängerin entscheidet, selektiert) nicht raus kommt, man will eine Botschaft – aus guten Gründen – überbringen, berücksichtig all die Hinweise und muss akzeptieren – ohne den anderen abzuwerten – er/sie ist es die aus den Daten eine Information macht.
    Bin Dir dankbar, dass Du unermüdlich Deine Überlegungen zur Verfügung stellst, auch wenn Du wahrscheinlich immer wieder feststellen wirst, dass viele meinen, es ginge anders, an mir liegt es nicht

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