Olaf Hinz team

Statt Gemeinsamkeiten zu betonen, lieber Unterschiede nutzen

5. von 11 Prinzipien für Führung bei Ungewissheit

Im Team haben Sie eine Teamentwicklung erfolgreich nach der Teamuhr (forming- norming- storming- performing) durchlaufen.
Es gibt wirksame Vereinbarungen und Teamregeln.
Regelmäßig arbeiten Sie in einem „after work“ daran, sich auch privat besser kennenzulernen.
…und trotzdem gibt es immer wieder Probleme komplexe, bisher unbekannte Themen zu bearbeiten

In meiner Arbeit mit Führungskräften/Projektleitern und ihren Mitarbeitenden beobachte ich immer wieder den Grundsatz der Gruppendynamik:

    • Ein homogenes (integriertes) Team kommt schnell zusammen, bewältigt Komplexität aber kaum, während

    • ein heterogenes (differenziertes) Team schwer zusammenkommt, dann aber Komplexität deutlich besser bewältigt.

      Seit Kurt Lewins bahnbrechender Forschung am MIT in Boston wissen wir, dass Gruppen sich nur dann entwickeln, wenn Bewegung in beide Richtungen, also Integration und Differenzierung, möglich ist. Nur dann wachsen die Handlungsoptionen und eine produktive Gruppendynamik entsteht

Nur Teams, die ihre Unterschiede nutzen, bewältigen Ungewissheit

Die Gruppen, die sich in Richtung Homogenität entwickeln, mühen sich, den Kopf über Wasser zu halten. Wenn Sie also das nächste Mal darüber nachdenken, mit Ihrem Team einen Workshop zu machen, dann prüfen Sie bitte,

    • ob das Ziel, mehr Gemeinsamkeit und Teamspirit zu entwickeln, die Gruppe nicht eher einschränkt, weil die unterschiedlichen Typen in der Gruppe abweichende Ideen im Dienste des Teamspirits „herunterschlucken“;

    • ob der Wunsch, einmal alle Themen und Konflikte anzusprechen, meint, gemeinsam in das Risiko zu gehen, diese auch zu klären;

    • ob der Plan, uns besser kennenzulernen, damit wir gut zusammenarbeiten, nicht nur auf Gemeinsamkeiten abzielt, sondern auch berücksichtigt, dass der Umgang mit Spannungen eine gute Zusammenarbeit kennzeichnet;

    • ob die bekannte Teamuhr mit ihren vier Phasen Forming, Storming, Norming, Performing nur einen gradlinigen Weg der Teamentwicklung „vorgaukelt“, der in Wirklichkeit mit viel mehr Schleifen und Umwegen zu gehen ist – es könnte dann schnell Enttäuschung aufkommen, wenn „unsere Gruppe nicht endlich in Phase vier ankommt“;
    • wie oft zwölf Teammitglieder mit einer Zehn-Punkte-Agenda in eineinhalb Tagen eigentlich zu Wort kommen und ob da Raum und Zeit für Unerwartetes und Neues bleibt?

Es lohnt sich, die seichte Homogenität einer Gruppe, die durch blinde Flecken, Formelkompromisse und freundliche Nichtbefassung zusammengehalten wird, zu irritieren. Dabei müssen Sie wohl kurz vom Surfbrett des Managements herunter und der Welle der Gruppendynamik entgegenschwimmen, aber dann gibt es die Chance, diese kraftvolle Welle zu reiten …

Pseudokooperation erkennen

Die Praxis zeigt es: Viele Teams sind durch Pseudokooperation, d.h. das Darstellen von Zusammenarbeit statt der eigentlichen gemeinsamen Sacharbeit, gekennzeichnet. Dagegen sind sich wirksame Gruppen ihrer Unterschiede bewusst und nutzen diese. Damit dies gelingt, stellen sie sich den fünf typischen Sorgen, die den begradigten Flusslauf in den Hafen der Pseudokooperation pflastern:

  1. Einsamkeit, d. h. die Sorge, dass ich mit meiner Position/Idee allein dastehe bzw. abgelehnt werde
  2. Misstrauen, d. h. die Sorge, dass die anderen nicht fair spielen und mir schaden wollen
  3. Harmoniestreben, d. h. die Sorge, dass Konflikte immer bleibende Schäden hinterlassen und deshalb vermieden werden müssen.
  4. Verlust des Lorbeerkranzes, d. h. die Sorge, dass die Erfolge nicht nur mir allein zugerechnet werden, bzw. Erhalten des Dornenkranzes, d. h. die Sorge, dass die Misserfolge nur mir allein zugerechnet werden.
  5. Egoismus, d. h. die Sorge, meine Position nicht durchzusetzen bzw. mich in der gemeinsamen Entscheidung nicht prominent wiederzufinden

Diese Themen als Führungskraft nicht nur kurz anzusprechen, sondern auch nachhaltig zu bearbeiten, erfordert viel weniger Mut oder Erfahrung, als gemeinhin gedacht wird. Um Unterschiede unter den Mitarbeitern gut zu nutzen, braucht es nämlich eine gute Portion Ambiguitätstoleranz

Ambiguitätstoleranz

ist die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten, Unterschiede oder Ungewissheit wahrzunehmen und nicht gleich negativ zu bewerten.
Je höher die Ambiguitätstoleranz ausgeprägt ist, desto eher ist man in der Lage, etwas auszuhalten, was einem auf den ersten Blick schwer verständlich oder sogar inakzeptabel erscheint. Dazu muss sich das angelernte Managerverhalten, Probleme zu lösen, verändern! Weg vom klassischen Lösungsweg aus Ursache und Wirkung hin zum reflexiven Lernen.

Einfache Erklärungen, unumstößliche Tatsachen und grundlegende Wahrheiten führen fast immer zu eingeschränkter Wahrnehmung, bei der die produktiven Unterschiede verloren gehen. Es sind Persönlichkeiten gefragt, die sich selbst und das Team als Ganzes bewusst wahrnehmen und dann „auf die Unterschiede gehen“, statt es sich in Pseudokooperation bequem zu machen.

Diese Persönlichkeiten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie

  • einerseits engagiert und mit einem hohen Selbstbewusstsein ihre Sichtweise zur Verfügung stellen und andererseits analytisch und mit Distanz das Team in seiner Wirkung auf das Unternehmen und die Umwelt untersuchen;
  • einerseits empathisch und achtsam auch heikle Themen, die persönlichen Zündstoff enthalten, ansprechen, um die Effektivität der Arbeitsbeziehung zu steigern, und andererseits mit Blick auf die gemeinsame Aufgabe darauf achten, dass persönliche Interessen nur so weit in den Teamfokus rücken, wie es zur Steigerung der Effektivität noch notwendig ist.

Als erste praktische Navigationshilfe habe ich drei Leitfragen für Sie entwickelt, wie Sie sich Ihre Ambiguitätstoleranz genauer ansehen können:

• Welche Verhaltensmuster rufe ich immer wieder ab, wenn ich es mit Unerwartetem zu tun habe?
• Welche typischen Schritte unternehme ich, wenn ich eine Situation nicht gut einschätzen kann?
• Wie führe ich meine Mitarbeiter, wenn ich selbst den Weg zum Ziel nicht kenne?

Wenn Sie ihre persönlichen Muster und typischen Verhaltensweisen genauer kennenlernen wollen, finden Sie bei meinen Navigationshilfen einen entsprechenden Fragebogen. Eine intensive Reflexion ermöglichen dann bewährte Methoden wie Insights Discovery® oder TeamPuls®, die am Anfang von einem erfahrenen Organisationsberater begleitet werden sollten.

 
 

heterogene Teams entwickeln

Ein heterogenes Team, das ja Komplexität deutlich besser bewältigt, kommt nur ganz selten vom Start an in gute Kooperation. Oft verhält man sich angesichts der Unterschiede im Team zurückhaltend oder man hat es mit Anfangs-Widerständen zu tun.

Als Führungskraft kommt es jetzt darauf an, angesichts der vielen Unterschiede nicht in die Falle des „Konkurrenz-belebt-das-Geschäft“-Führungsstils zu tappen.

    • Geben Sie einen Vertrauensvorschuss und gehen den ersten Schritt der Kooperation, indem Sie z.B. den Ressourceneinsatz der Gruppe überlassen, statt einen Wettlauf um die von Ihnen knapp gehaltenen Ressourcen initiieren.

    • Schaffen Sie Transparenz, informieren Sie aktiv, frühzeitig und im Zweifel „unausgegoren“, statt Informationen als Holschuld zu betrachten und diejenigen mit „Special-Infos“ zu belohnen, die Ihnen im Flur auflauern.

    • Geben Sie Verantwortung in die Selbstorganisation der Gruppe ab und moderieren deren Entscheidungsprozess, statt mit jedem einzelnen Teammitglied individuelle Vereinbarungen über Aufgabe, Berichtswesen und Kontrolle zu treffen.

    • Fördern Sie die Lust auf und den Respekt vor der anderen Meinung, indem Sie sich beraten, korrigieren und umstimmen lassen, statt auf Ihre hierarchische Autorität und letztendliche Verantwortlichkeit zu pochen.

    • Seien Sie ein Vorbild in dem Mut, eigene Fehler einzugestehen und unnütze Vereinbarungen und Pläne sinnvoll anzupassen, statt die Fehler bei anderen zu suchen oder auf das System zu schimpfen.

      und vor allem:

    • Führen Sie nach der Ethik der zweiten Chance, d.h., räumen Sie noch ein zweites Mal einen Vertrauensvorschuss ein, auch wenn der erste Vorschuss nicht eingelöst wurde. Kommt aber auch dann keine Kooperation zustande, so bleiben Sie konsequent und beenden die Kooperation, d.h. trennen sich dann von diesem Teammitglied.

Insbesondere der letzte Punkt weist darauf hin, dass erfolgreiche Kooperation weniger eine Frage der Spielregeln ist, sondern vielmehr eine Sache der Haltung.


Dieser Blogbeitrag ist Teil einer elfteiligen Serie in der die Aufforderung ergeht, Ihr bisheriges Repertoire zu erweitern und bewährtes Führungswerkzeug zu ergänzen. Denn in einer Welt der Mehrdeutigkeit kann es kein neues, einziges und überragendes Führungsparadigma mehr geben. Über diesen elf Aufforderungen, etwas dazuzulernen, „thront“ ein Prinzip, auf dem das „Segeln auf Sicht“ sich gründet: die Drei-I-Regel

Führung unter Ungewissheit ist
a) inkrementell: weil große Pläne schon veraltet sind, bevor sie erscheinen;
b) interaktiv: weil einsame Helden mit ihrem Latein im VUCA-Wetter am Ende sind;
c) iterativ: weil Komplexität nicht in einem Zug bewältigt werden kann.

4 Kommentare zu „Statt Gemeinsamkeiten zu betonen, lieber Unterschiede nutzen“

  1. Lieber Herr Hinz,
    es ist immer wieder eine Freude, wie scharfsinnig Sie Freiheit für Entwicklung lassen, Geduld proklamieren und am Ende durch gelebte Haltung Ergebnisse produzieren.

    Herzliche Grüße
    Franz Wenzl

  2. Lieber Olaf, mir geht immer Herz und Hirn auf, wenn ich Deine Überlegungen und Hinweise lese. Immer theoretisch super fundiert (und die Quellen benannt) und praktisch konzipiert. Dieser Blog hat mich aus aktuellem Anlass besonders gefreut, da wir gerade die 50 Jahre der ÖGGO (österreichische Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung, der ich seit 50 Jahren angehöhre) gefeiert haben. Mit einem sehr aufschlussreichen Vortrag von Dirk Baecker zur Frage: ist die Gruppe ein eigenes soziales System, wie. laut Luhmann, die Interaktion, Organisation, Gesellschaft, Prodestbewegung.
    Würde mich über mehr Austausch mit Dir freuen.
    Herzlichst Herbert

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