Der Change Canvas

Statt die Dinge totzureden, lieber lebendige Ideen visualisieren

6. von 11 Prinzipien für Führung bei Ungewissheit Die Klage über sinnlose Meetings und endlose Diskussionen ist Legende. Obwohl Besprechungsregeln und Vereinbarungen zur Meetingkultur an jeder gut gepflegten Besprechungswand hängen, kommt man trotzdem nicht zu Potte. Es scheint paradox: Je mehr man sich um gute Gespräche bemüht, desto mehr werden die Dinge totgeredet. Ich schlage vor, dass Sie Ihre Energie umleiten und stattdessen einmal versuchen, weniger Worte zu machen und mehr mit Skizzen, Bildern und Visualisierung zu arbeiten. Dazu ist in den letzten Jahren viel Sinnvolles entstanden …

Graphic Recording

Graphic Recording ist eine visuelle Art der Protokollierung. Sprachliche Inhalte werden zeichnerisch auf einer analogen oder digitalen Leinwand live und für alle sichtbar festgehalten. Der „Graphic Recorder“ berücksichtigt hierbei nicht nur die Inhalte des Vortrags oder des Workshops, auch die Stimmungen und Rückmeldungen der Teilnehmer werden dokumentiert. Sinn und Zweck dieser Protokollierung ist:
  1. Durch die visuelle Live-Dokumentation wird die Erinnerung an den Inhalt bei allen teilnehmenden Personen gefestigt.
  2. Nachgelagerte Diskussionen können dank der visuellen Aufbereitung erleichtert werden; ein gemeinsames Verständnis kann einfacher erzielt werden. Ein mühsames Einlesen in ein schriftliches Protokoll ist nicht notwendig.
  3. Das bildhafte Ergebnis kann weiterverabeitet und verteilt werden. Auch für Marketingzwecke stellt dies eine einfache und wirksame Methode dar.
  4. Die Art der Protokollierung macht neugierig.
  5. Im Vergleich zu einem schriftlichen Protokoll bietet die grafische Variante einen schnellen Überblick und fokussiert auf das Wesentliche.
Zu beachten ist: Graphic Recording ist keine Aufzeichnung, die jedes einzelne Detail oder jedes gesprochene Wort widerspiegelt. Der Anteil textueller Information in den entstandenen Bildern ist in der Regel gering. Wer also Wert auf einzelne Details legt, sollte diese Inhalte vorab mit dem Graphic Recorder absprechen und ggf. zusätzlich auf die klassische Art der Protokollierung zurückgreifen. Alternativ bieten sich hier auch Sketchnotes an. „Sketchnotes“ sind eine Mischung aus Graphic Recording und Elementen der klassischen Protokollierung. Es wird eine Mitschrift verfasst, die durch einzelne Piktogramme und Bildmetaphern ergänzt wird. Auf diese Weise wird das herkömmliche Protokoll anschaulicher gestaltet und somit bei den Empfängern leichter im Gedächnis verankert.

Task Board

Das Task Board bietet den Überblick über das, was aktuell wo und wie passiert. Es ist an prominenter Stelle angebracht und daher für alle sichtbar. Ein Task Board ist nur sinnvoll, wenn es aktuell ist, d.h., die tägliche, jedoch mindestens wöchentliche Pflege ist eine unumstößliche Bedingung für den Einsatz eines Task Boards. Durch die Aktualität und ständige Verfügbarkeit wird der Informationsaustausch besser organisiert und der Beitrag jedes Einzelnen transparent gestaltet. Typischerweise schreiben Sie in die Zeilen eines solchen Boards die einzelnen Aufgaben (Tasks), Themen, Teilprojekte oder Arbeitspakete Ihres Vorhabens und in die Spalten die einzelnen Prozessschritte, die diese Tasks durchlaufen werden. Dort notieren Sie dann, wie auch in Abbildung  veranschaulicht, z.B.: in Planung, in Arbeit, wartet auf Entscheidung, abgenommen und ausgeliefert.

Canvas

Die großen, in einzelne Felder unterteilten Plakate, an denen Gruppen von Menschen Karten platzieren und hin- und herschieben, sind im Zuge der Agilitätswelle hereingeschwappt. Man nennt sie Canvas (englisch für Leinwand) und der bekannteste ist sicher der der Business Model Canvas von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur, der unter einer Creative Commons (CC) Licence  veröffentlicht wurde. Dieses offene Lizenzmodell hat es ermöglicht, dass in Folge eine Vielzahl von Canvas für unterschiedliche Businessthemen entstanden ist und das Canvas-Prinzip weitere Verbreitung findet. Unter www.hinz-wirkt.de/Navigationshilfen habe ich Ihnen weitere nützliche Canvas zur Verfügung gestellt. Sinn und Zweck der Visualisierung einer Themenstellung über einen Canvas ist es, „eine gemeinsame Sprache zur Beschreibung, Visualisierung, Bewertung und Veränderung“ des Themas zu erreichen. Durch die themenbezogene Leinwand kann man
  • schnell die Situation erfassen,
  • übersichtlich den Prozess darstellen,
  • verschiedene Szenarien durchspielen und damit
  • unterschiedliche Ideen besser vergleichbar machen.
Die Arbeit mit einem Canvas ist stark lösungsorientiert und fokussiert auf konkrete Schritte, sie fördert das Handeln genauso wie den Austausch über Alternativen. Dabei ist sie genauso einfach wie die Arbeit mit einem Flipchart, sorgt durch ihre vorgegebenen Strukturen aber dafür, dass die „Weiße-Blatt-Schwelle“ so gut wie gar nicht mehr auftritt. Diese Schwelle kennen Sie sicher auch: Mit mehreren Personen stehen Sie vor einem unbeschriebenen Flipchart, und es dauert sehr lange, bis endlich einmal angefangen bzw. ein erstes Ergebnis notiert wird. Durch die Führung, die die Felder des Canvas den Bearbeitern geben, ist diese Schwelle sehr viel niedriger. Die Methode ist konsequent auf die Zusammenarbeit in einem Team ausgelegt und daher eben eine gute Alternative zu Diskussionen mit endlosen Rednerlisten. Canvas sind allerdings nichts für einsame Entscheider und Helden, weil sie gerade einen hellen Fixpunkt für Kommunikation und Zusammenarbeit bilden. Meine Erfahrung ist: Der Prozess ist deutlich lebhafter, besonders wenn man im Stehen arbeitet, mit mehr Varianten versehen – und die Teilnehmer sind von den Ergebnissen oft positiv überrascht.

Design Thinking

ist genauso für das Arbeiten nach der Drei-I-Regel geeignet, aber eigentlich schon mehr als nur eine Methode zur Visualisierung. Denn es geht beim „Design“ nicht darum, etwas „hübsch“ zu machen, sondern darum, Design in seiner ursprünglichen Bedeutung als Prozess, als etwas Neues eine Form zu geben. Mit dem Design-Thinking-Prozess soll es gelingen, Neues rasch und gut in eine VUCA-Welt zu bringen – und sich angesichts der Komplexität eben nicht weiter im täglichen Managementdenken zu drehen. In der alten kausalen Maschinenwelt wird unterschieden, um zu trennen, d.h., bei einem Problem springt die Lösungsmaschine an und generiert ein bis x Möglichkeiten. Diese Lösungsmaschine kennen Sie bestimmt unter dem Namen Brainstorming, Kreativitätstechniken oder auch Innovationsmanagement. Dann braucht es genauso ein bis x Meetings, um zu entscheiden, welche Möglichkeit das Problem am besten löst, und diese Möglichkeit wird dann „konsequent“ umgesetzt. So einfach, so schnell und so gut, wie es die Tools der Managementtechniker im Maschinenraum der komplizierten Welt eben können. Beim Segeln auf Sicht, also wenn analytische Methoden und lineares Denken in Wenn-dann-Kategorien nicht weitergeführt haben, braucht es ein freies, kreatives Denken, wie es die Design-Profession seit jeher pflegt. In einem schrittweisen Vorgehen wird der Ideentrichter gefüllt. Vorher undenkbare Alternativen fallen plötzlich auf, und neue Lösungswege zeichnen sich ab, wenn bewusst auf Unterschiede ausgerichtete Teams ihre Unwissenheit zu nutzen lernen. Und die magische Zahl, die Sie dabei nicht vergessen dürfen, ist die Zahl sieben: Sieben Prinzipien, das sogenannte Stanford Mindset, sind für diesen Prozess wegweisend
  1. Das Ausgangsproblem verstehen und die passende Frage formulieren
  2. Das Umfeld erkunden, Betroffene befragen und das Feld neugierig beobachten
  3. Die Beobachtungen mit den Augen der idealtypischen Nutzer/Kunden zu Ideen zusammenfassen
  4. Die Ideen visuell, griffig und konkret sammeln
  5. Aus der aktuell Erfolg versprechendsten Idee einen Prototypen entwickeln
  6. Den Prototypen im Feld bei Nutzern, Betroffenen und Kunden erproben
  7. Lösung/Produkt/Service herstellen und vertreiben
Iterativ bedeutet im Design Thinking, dass nach jedem Schritt eine Ziffer weiter- oder auch eine oder zwei Ziffern zurückgesprungen werden kann. Wenn nach der Zusammenfassung der Beobachtungen keine konkreten Ideen entstehen, wird von Schritt drei wieder an den Anfang gegangen und eine neue Frage formuliert. Oder falls der Prototyp bei den Betroffenen in Schritt sechs „durchfällt“, wird die zweite Idee ausgewählt (Schritt fünf) und dieser Prototyp entwickelt. Ein echter rückgekoppelter Prozess eben! Die Wirkung dieser Sieben-und-Sieben-Haltung konnte ich bei Feldforschung im Telekom Creation Center gut beobachten. Es kommt darauf an, wie ein Designer zu denken: schon in frühen Phasen Entwürfe zu machen, sich tatsächlich dort umzusehen, wo das Problem auftritt, Prototypen zu bauen und zu testen, testen, testen … Ulrich Weinberg von der renommierten HPI (Hasso-Plattner-Institut) School of Design Thinking zeigt diese Haltung und unterscheidet bereits, ohne zu trennen: „Mit Design Thinking erfinden wir gerade neu, wie wir in Zukunft in einer immer stärker sich vernetzenden Welt zusammen lernen und arbeiten werden – weg von einem trennenden, auf Einzelkonkurrenz setzenden Modus hin zu einem verbindenden, kollaborativen Denken und Handeln.“ Besonders für Segelreviere wie die Gestaltung von wirklichen Veränderungsprozessen, einer echten Strategieentwicklung und von dynamikrobusten Strukturen ist der Sieben-und-Sieben-Prozess des Design Thinking eine wunderbare Quelle. Bauen Sie diese Elemente in Ihre Arbeit ein – und Sie werden erleben, wie Neues entsteht, obwohl Sie Ihr Arbeitsverhalten nur ein wenig angepasst haben. Larry Leifer, einer der Väter des Design Thinking, hat es den Innovationsmanagern ins Stammbuch geschrieben: „Jeder Weg muss neu erkundet, das Jagen muss immer wieder neu erlernt werden.“ Egal für welchen Weg der Visualisierung Sie sich entscheiden: Mehr zu zeigen, zu skizzieren und darzustellen ersetzt das Reden nicht – warum auch! Es macht die Diskussion aber lebendiger, vielfältiger und offener. Der Grabenkrieg der Wortmeldungen und Positionsverteidigung wird abgelöst durch den frischen Wind der Anschaulichkeit und eine darauf folgende Gruppendynamik, die Widerstand begrüßt und Unterschiede nutzt. Dieser Blogbeitrag ist Teil einer elfteiligen Serie in der die Aufforderung ergeht, Ihr bisheriges Repertoire zu erweitern und bewährtes Führungswerkzeug zu ergänzen. Denn in einer Welt der Mehrdeutigkeit kann es kein neues, einziges und überragendes Führungsparadigma mehr geben. Über diesen elf Aufforderungen, etwas dazuzulernen, „thront“ ein Prinzip, auf dem das „Segeln auf Sicht“ sich gründet: die Drei-I-Regel
Führung unter Ungewissheit ist a) inkrementell: weil große Pläne schon veraltet sind, bevor sie erscheinen; b) interaktiv: weil einsame Helden mit ihrem Latein im VUCA-Wetter am Ende sind; c) iterativ: weil Komplexität nicht in einem Zug bewältigt werden kann.

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