Statt die Stelle zu besetzen, lieber die Rolle professionell ausfüllen

7. von 11 Prinzipien für Führung bei Ungewissheit

Unter Ungewissheit kommt eine der Betonburgen deutscher Unternehmen unter Druck: die Stellenbeschreibung!

Die Stelle oder auch Funktion beschreibt den Platz, den jemand in einer formalen Organisation einnimmt. Daher gibt es auch ein Organisationshandbuch, das unter anderem Stellenbeschreibungen und den Stellenbesetzungsplan beinhaltet. Die Bezeichnungen der Stellen spiegeln meist zweierlei wider: erstens die hierarchische Position und zweitens die fachliche Funktion. Diese Denke geht u.a. auf den Dinosaurier der Führungslehre im deutschsprachigen Raum, das Harzburger Modell, zurück, das sich prinzipiell an militärisch straffen Organisationen orientiert.
Viele stabile Unternehmen und geregelte Organisationen verwenden das Konzept der Stelle seit vielen Jahren mit Erfolg für ihr hierarchisches Betriebssystem. Stellen und zugeordnete Funktionen sind für die Organisation Mittel, um Wertschöpfung und Zielerreichung sicherzustellen. Denn wenn Arbeitsteilung herrscht, dann kann nicht jeder machen, was er will, sondern sollte zunächst die Dinge gut tun, die auf dem jeweiligen Platz getan werden müssen.

Bei Ungewissheit ist das Konzept der Stelle oder Funktion nicht mehr geeignet. Die Struktur, die auch in der dynamischen, komplexen Welt nützlich und sinnvoll ist, ist das Konzept der Rolle.

Rollen statt Stellen

Berufliche Rollen beschreiben die Verhaltenserwartungen, die an das Personal in der Organisation gestellt werden. Dies sind die geschriebenen (z.B. in Führungsleitsätzen, Vereinbarungen zur Besprechungskultur oder Spielregeln aus dem Teamworkshop) und ungeschriebenen Gesetze, wie man sich in der Organisation zu verhalten hat, um Erfolg zu haben. Diese Zuschreibungen zu ihrer Rolle können Mitarbeiter nicht im Organisationshandbuch nachlesen, sondern sie müssen (oft mühevoll) herausgefunden werden.

Warum ist das so? Rollen sind eben nicht „objektiv“, sondern durch persönliche Erwartungen geprägt. Das Verständnis einer Rolle kann deshalb immer nur das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses mit vielen Stakeholdern, also denen, die Erwartungen an die Rolle haben, sein. Nahezu jeder hat Vorstellungen davon, was ein Geschäftsführer, Abteilungsleiter, Fachexperte, Projektleiter oder Aufsichtsratsvorsitzender zu tun hat, damit das betriebliche Ergebnis stimmt.

Nur derjenige, der die unterschiedlichen Erwartungen kennt, sie aktiv „managt“ und bewusst in seine Kommunikation einbaut, wird seine Rolle auch erfüllen und seine Themen platzieren. Und natürlich gilt auch: Erst wenn ich mir über meine berufliche Rolle klar bin, kann ich mit den anderen sinnvoll über Kooperation sprechen

Wenn Ungewissheit und Komplexität zunehmen, arbeitet ein erfahrener Kapitän mit Rollen, die zwei Zutaten brauchen, um gut zu wirken:

  • kommunizierte Erwartungen der Stakeholder, die mit der Rolle in der Organisation zusammen- arbeiten, und
  • ein klares Rollenbewusstsein desjenigen, der diese Rolle in der Organisation dann ausführt.

In vier Schritten zur Rollenklärung

Wirksame Rollenklärung braucht ein Kooperationsmodell, das Aushandlungsprozesse zwischen den einzelnen Stellen/ Funktionen, Stakeholdern und Personen auf Basis von Sinn und Zweck der Organisation ermöglicht. Das geschieht am besten in vier Schritten:

  1. Bestimmung der relevanten Stakeholder
  2. Das Erwartungsgefüge ermitteln
  3. Die Rollenübernahme entscheiden
  4. Die Rollenübernahme im Umfeld kommunizieren

Mythos Authentizität

„Authentisch führen“ ist ein Verkaufsschlager bei Führungstrainings,  Ich kann mir gut vorstellen, dass Führungskräfte gerne an diesen Trainings teilnehmen, um zu lernen, wie sie in der Rolle Führungskraft endlich diejenigen sein können, die sie wirklich sind. Endlich Schluss mit der Rollenspielerei!
Der Wunsch ist verständlich, aber er ist nicht klug, weil er, wie in Erfolgsfaktor drei dieser Serie erörtert, die Psyche wieder zu sehr in den Fokus stellt und die systemische Rolle der Führungskraft ausblendet. Wer rein authentisch führt, führt unprofessionell!

Natürlich ist es nicht einfach, mit Erwartungen umzugehen, die zwar nicht mit Ihren eigenen Vorstellungen übereinstimmen, aber die Sie trotzdem in Ihre Rolle als Führungskraft übernehmen „müssen“. Aber es gehört zur professionellen, wirksamen Ausübung der Rolle dazu!
Das sind die Dinge, die Menschen tun, weil „sie zum Job gehören“ und sie sich in ihrer Rolle professionell verhalten. Hier wird die Analogie des Begriffs Rolle greifbar: Ähnlich wie Schauspieler müssen wirksame Führungskräfte ihre Arbeit unter den kritischen Augen der Mitarbeiter, Kollegen, Kunden, Lieferanten „über die Bühne bringen“. Dazu gehört ein zur Rolle passender Text und entsprechendes Verhalten. Als Führungskraft erfolgreich zu sein, bedeutet also auch, die Rolle überzeugend zu spielen bzw. nicht aus der Rolle zu fallen!

Und natürlich gibt es Werte, Normen, Erwartungen und Wünsche, die sich nicht innerhalb Ihrer Führungsrolle umsetzen lassen, denn es ist eine Binsenweisheit: Die berufliche Rolle erfüllt nicht die ganze Person. In diesem „privaten“ Bereich auf der Hinterbühne leben Sie fern von dem Druck, die Erwartungen der meisten Stakeholder erfüllen zu müssen, ein professionelles Rollenspiel ist nicht nötig, d.h., Sie werden sich in diesem Bereich „authentisch“ verhalten.

Seien wir auf der Hut vor den Heilsversprechen der Selbstverwirklicher und Authentizitätsevangelisten! Ich finde, Führungskräfte, die rein authentisch führen, handeln unprofessionell, weil sie den Bezug zur Organisation ignorieren.
Um sich wohl und zufrieden im Job zu fühlen, kommt es darauf an, je nach Situation in der richtigen Dosis authentisch zu sein und genau die Rolle auf der Bühne des Unternehmens vorzuführen, die vom Publikum auch verstanden werden kann.

Führungskräfte coachen nicht

Es ist ein Mythos der Weiterbildungsanbieter und wohl auch eines der typischen Artefakte, wenn Mitarbeiterführung zu sehr auf die Psyche verengt wird: die Führungskraft als Coach!

Auf der Strukturebene der Unternehmung macht eine direkte Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung die Rolle „Coach – Klient“ unmöglich. Denn diese Führungsbeziehung ist machtvoll und daher grundsätzlich für eine vertrauliche Coachingarbeit ungeeignet.
Auch wenn wir uns die Rolle des Coaches genauer ansehen, die ja dadurch gekennzeichnet ist, einen Entwicklungsprozess zu initiieren und zu begleiten, der bedingungslos den Fokus auf den Klienten und die Struktur, in der er tätig ist, richtet, zeigt sich die Unvereinbarkeit der beiden Rollen Coach und Führungskraft. Und beide Hüte zu tragen, geht nun einmal nicht!

Allerdings  ist beim Thema „Führungskraft als Coach“ in den meisten Unternehmen gar nicht gemeint, dass die Führungskraft nun auch noch die Rolle eines externen Coaches einnehmen soll.
Vielmehr handelt es sich oft um eine Inszenierung, um einen Slogan, mit dem Trainings und Weiterbildungen kommunikativ an die „Coachingwelle“ angehängt werden sollen. Weil Coaching boomt, sollen eben alle damit beglückt werden!
Wenn ich da in einige Curricula der großen Weiterbildungsanbieter mit der Überschrift „Führungskraft als Coach“ schaue, beobachte ich vor allem Angebote aus dem Maschinenraum der Tools und Techniken, die eine mechanistische Haltung verraten. Da war davon die Rede, dass in der Ausbildung vor allem Fragetechniken (natürlich zirkulär), Ressourcenorientierung (immer nach der Lösung fragen) und „das Lesen von Körpersprache“ wichtig seien. Denn es sei ja wichtig, schnell Hilfe zu geben und Lösungen zu finden. So weit, so schlecht.

Meine Empfehlung ist: Erweitern Sie Ihr Repertoire als Führungskraft stetig und mit Freude. Hüten Sie sich aber vor den Quacksalbern, die mit dem Wort „Coaching“ ein Gebräu anrühren, das wunderbare Wirksamkeit verspricht. Unterscheiden Sie Führung und Coaching als zwei verschiedene Wege, Menschen in Organisationen auf ihrem Arbeitsweg zur Seite zu stehen.

Deshalb muss man aber nicht so trennen, dass sich beide Wege aus dem Blick verlieren: Eine Auftragsklärung unter Einbindung der Führungskraft, eine Prozesssteuerung durch die HR-Abteilung und ein Lessons- Learned-Prozess in der Mitte und am Ende des Coachings verbinden den Führungsweg und den Coachingweg, ohne dass sich die beiden Rolleninhaber Führungskraft und Coach in ihrer Wirksamkeit behindern.

Wem es dann noch gelingt, in seine Führungskommunikation weniger rhetorische Fragen, sondern mehr Fragen mit einer ehrlichen Haltung des Erkundens und Beobachtens einzubauen, der vereint Gutes aus beiden Wegen. Aber die Führungskraft als Coach wäre keine Vereinigung mehr, sondern überspannt den Bogen hinein in die unproduktive Egalisierung zweier unterschiedlicher Disziplinen.

Dieser Blogbeitrag ist Teil einer elfteiligen Serie in der die Aufforderung ergeht, Ihr bisheriges Repertoire zu erweitern und bewährtes Führungswerkzeug zu ergänzen. Denn in einer Welt der Mehrdeutigkeit kann es kein neues, einziges und überragendes Führungsparadigma mehr geben. Über diesen elf Aufforderungen, etwas dazuzulernen, „thront“ ein Prinzip, auf dem das „Segeln auf Sicht“ sich gründet: die Drei-I-Regel

Führung unter Ungewissheit ist

a) inkrementell: weil große Pläne schon veraltet sind, bevor sie erscheinen;

b) interaktiv: weil einsame Helden mit ihrem Latein im VUCA-Wetter am Ende sind;

c) iterativ: weil Komplexität nicht in einem Zug bewältigt werden kann.

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