Kulturkampf im Change

Der gesellschaftlich sattfindende Kulturkampf ist im Change Management angekommen. Das beobachte seit einigen Monaten bei Transformationsprozessen, die ich als Lotse begleite.

Schon immer war Change Management nichts, was nur in der „Abschottung“ der Unternehmen stattfindet, sondern auch gesellschaftlich aktuelle Phänomene aufnimmt. Zahlreiche Change Projekte zu Homeoffice und Selbstorganisation hätten ohne die Corona Pandemie so nicht stattgefunden. 
Aber jetzt erlebe ich, dass die hitzigen Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum direkt in den Workshop „hineinschwappen“.

Kulturkampf ist die Auseinandersetzung zwischen einander fremden und feindlichen kulturellen Lebensweisen.

Der historische Kontext

Eigentlich beschreibt der Begriff „Kulturkampf“ den gesellschaftlichen und politischen Konflikt um Wertvorstellungen und Vorherrschaft innerhalb einer Gesellschaft. Aktuell wird der Begriff oft für Konflikte rund um Themen wie Migration, Gender, Identität, Klimapolitik sowie politische Korrektheit oder „Wokeness“ verwendet. 
Der Eon Vorstand Leo Birnbaum beobachtet z.B., dass „einige Gruppen [..] aus der Energiewende aber jetzt einen Kulturkampf [machen].“

Historisch stammt der Begriff aus dem 19. Jahrhundert und ist in Deutschland aus Bismarcks Zeit bekannt. Er zielte auf die Einschränkung des politischen Einflusses der katholischen Kirche und insbesondere der Zentrumspartei ab, die viele Katholiken politisch organisierte. Bismarck setzte eine Reihe von Gesetzen durch, die den Einfluss der Kirche im Bildungswesen und der Gesellschaft schwächen sollten.

Unterschiede produktiv zu nutzen…

Per Definition geht wirksames Change Management dorthin, wo es wehtut. Es thematisiert die Emotionen und Konflikte, d.h. den Widerstand der (fast) jede Transformation begleitet. Verschiedene Gruppen, Abteilungen oder Generationen haben nämlich unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Zusammenarbeit, Führung oder Innovation gestaltet werden soll. 

Diese Unterschiede sichtbar und produktiv zu machen, ist meine Profession. Mit einem großen Lotsenrepertoire schaffe ich Räume für Dialog, belastbare Entscheidungen und neue Wege. Damit stoße ich in letzter Zeit manchmal an Grenzen. Die Stimmung ist aufgeladen, hitzige Debatten verdrängen produktive Dialoge und persönliche Vorwürfe, Fakes und sogar Beleidigungen kommen vor.

…gelingt nicht immer

  • Da wollen Babyboomer und Mitarbeitende aus der Generation Z in einem #KI Projekt eigentlich über die Erwartungen an den neuen Servicebot reden. Aber dann verhärtet sich die Diskussion vor der Mittagspause auf die Frage, „ob die Jungen eigentlich für ihr Geld noch selbst arbeiten wollen“ und „die Alten diese Welt ruiniert haben“.
  • Vor wenigen Jahren musste ich einen Workshop zur Prozessoptimierung im supply chain abbrechen, weil fremdenfeindliche und antisemitische „Bemerkungen“ unwidersprochen blieben.
  • und in einer Retrospektive verbat sich eine Führungskraft von einer anderen geduzt zu werden. Daraufhin wurde dieser Führungskraft das „falsche mindset“ unterstellt und gefordert, sie aus der Führungsrolle und auch gleich aus der Organisation zu entlassen.

Wie kann wirksames Change Management Kulturkämpferischem begegnen?

Aktuell begegne ich solchen Situationen kommunikativ mit dem Repertoire der gewaltfreien Kommunikation, des kontrollierten Dialoges und streng moderierten Debatten. Dazu nutze ich das spezielle Repertoire des Konfliktmanagement.

Aber was tun wir, wenn das nicht (mehr) verfängt?
Ich glaube, dass das Repertoire des Change Management für den guten Umgang mit den neuen, kulturkämpferischen Elementen ergänzt werden muss. Einige Quellen fallen mir da spontan ein:

  • die angewandte Soziologie, die sich schon immer mit gesellschaftlichen Phänomenen befasst. Gerade lese ich z.B. Verlust von Andreas Reckwitz mit Erkenntnisgewinn.
  • Das Konzept des Unterscheide, ohne zu trennen und verbinde, ohne zu egalisieren, auf das ich hier im Lotsenblog schon hingewiesen habe.
  • Das Konzept des presencing und der Theorie U von Otto Scharmer, dass Veränderung nicht aus dem aktuellen Mangel und Frust, sondern von der Zukunft her denkt.

Ich freue mich, wenn in den Kommentaren weitere Quellen und Ansätze ergänzt werden und wir unser Repertoire gemeinsam erweitern.

Denn ich möchte das „Hineinschwappen“ des Kulturkampfes ins Change Management aktiv zum Thema machen und bearbeiten und nicht passiv erdulden.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen