Statt Leistung zu beurteilen, lieber Kooperation ermöglichen

9. von 11 Prinzipien für Führung bei Ungewissheit

Wer der Meinung ist, dass er für Geld alles haben kann, gerät leicht in den Verdacht, dass er für Geld alles zu tun bereit ist.

Kaum eine Managementmethode ist in letzter Zeit so ins Gespräch gekommen wie Beurteilungs- und Vergütungssysteme. Leistungsabhängige Bonussysteme werden gestrichen und Organisationen kommen auf einmal  auch ohne „Performance Reviews“ aus.
Zu Recht steht diese Art von Beurteilungs- und Anreizsystemen unter Druck, denn sie sind allzuoft von der dunklen Seite der Macht bestimmt.

Das Strohfeuer der Anreizsysteme

Erfolgreiche Führungskräfte wissen längst, dass der Anspruch, seine Mitarbeiter durch äußere Anreize motivieren zu wollen, kein kluges Unterfangen ist. Sie halten das für ein wenig zielführendes, aber gleichwohl anstrengendes Konzept.
Sicher: Ein Kapitän kann die Mannschaft zwingen, indem er mit Sanktionen droht, zum Beispiel mit der Kürzung der Heuer oder gar dem Wurf über Bord. Damit wird er vermutlich sogar Erfolg haben, wenn auch eher nur kurzfristig. Mit Motivation hat dies aber wohl kaum etwas zu tun.

Etwas anderes ist das Führen über Anreize, die für eine bestimmte Leistung in Aussicht gestellt werden. An erster Stelle stehen hier finanzielle Anreize, etwa eine variable Vergütung.
Doch auch solche Prämien führen meist nur zu kurzfristigen Effekten. Sie eröffnen die Möglichkeit, Mitarbeitende kurzfristig zu einer Handlung zu veranlassen, zum Beispiel ein zusätzliches Arbeitspensum zu leisten. Dasselbe Ergebnis lässt sich auch mit der Androhung einer Sanktion erreichen – was gerade in schwierigen Zeiten leicht möglich ist.

 

Die Erfahrung zeigt, dass Motivation über Anreize nicht von langer Dauer ist, der Führungskraft viel Kraft abverlangt – und auf mittlere Sicht sogar kontraproduktiv ist. 

So lässt sich im Zusammenhang mit variabler Vergütung ein „Plateau-Effekt“ beobachten: Mitarbeitende, die dieses Jahr aufgrund ihrer besonderen Leistung eine Prämie von 2.000 Euro erhalten haben, werden im nächsten Jahr eine weitere Prämie in Höhe von 1.500 Euro nicht als motivierenden Anreiz empfinden, sondern eher als „Kürzung ihrer Entlohnung“. Anstatt sich über ein zusätzliches Einkommen von 1.500 Euro zu freuen, haben die Mitarbeitenden das Gefühl, ein um 500 Euro niedrigeres Gesamtgehalt als im Vorjahr zu erhalten – denn die Prämie des Vorjahres wird bereits nicht mehr als zusätzlich, sondern als Bestandteil der üblichen Entlohnung empfunden. Jeder neue Anreiz kann dann nur von diesem Plateau aus gesetzt werden. Ein typisches Beispiel für die Strohfeuerwirkung finanzieller Anreize!

Sinnvolle Führung

Ich halte die These von Viktor Frankl, der im Erleben von Sinn den entscheidenden Motivator sieht, bei Führung unter Ungewissheit für wunderbar geeignet.

Die von ihm formulierte Grundidee einer „sinnzentrierten Motivation“ ist ebenso einfach wie einleuchtend: Das Erleben von Sinn ist die stärkste Motivation für einen Menschen. Solche Mitarbeitenden sind hoch motiviert, handeln aus innerer Überzeugung, arbeiten überdurchschnittlich erfolgreich – und sind weit davon entfernt, in „ich muss den Bonus verdienen“ Hektik zu fallen.
Damit kein Missverständnis entsteht: Bei sinnorientierter Motivation geht es nicht in die Richtung von „authentisch sein“ und darum, dass ein Mitarbeiter sich die Aufgaben aussucht, die ihm Spaß machen – vielmehr kommt es darauf an, dass er die ihm übertragene Aufgabe als sinnvoll erlebt.

Es gibt genug Tätigkeiten, die zwar ungeliebt, aber dennoch notwendig sind, um das Ziel zu erreichen. Beispiele hierfür sind die technische Dokumentation oder der Projektabschlussbericht. So erlebe ich bei Entwicklungshilfeprojekten, dass auch Dokumentationsarbeiten, die von den Projektmitarbeitern als lästig empfunden werden, dennoch mit großer Energie und Sorgfalt ausgeführt werden. Dahinter steht das Wissen um Bedeutung und Notwendigkeit dieser Tätigkeit: Die Ergebnisse des Projekts, etwa die Urbarmachung von Land durch das Bohren von Brunnen, müssen reproduzierbar sein, wenn das Projekt wirklich erfolgreich sein soll. Dies jedoch erfordert eine gute Dokumentation.

Nach Viktor Frankl kommt es vor allem auf zwei Aspekte an:

  • Sinn kann nicht von anderen vorgegeben oder gar verordnet werden.
  • Sinnvolles Handeln entsteht aus dem individuellen Bestreben, bestimmte persönlich wichtige Werte zu verwirklichen.

Als Führungskraft sollten Sie deshalb das Ziel einer Aufgabe gemeinsam mit der/m Mitarbeiter*in so beschreiben, dass es in freier Entscheidung persönlich akzeptiert werden kann. Zudem sollten Sie es so kommunizieren, dass Mitarbeitende für sich in der Aufgabe Sinn entdecken können – und zwar ohne, dass ihre Mitarbeitenden von außen, also von Ihnen, dazu aufgefordert werden. Konkret gelingt Ihnen das, wenn Sie in dem Gespräch eher fragen als reden und gut zuhören.
Die folgenden Überlegungen sollen Ihnen dabei helfen:

  • Welche persönlichen Interessen hat die Mitarbeiterin?
  • Ist es für den Mitarbeiter die erste Station oder handelt es sich um einen „alten Fuchs“, dem „etwas Besonderes geboten werden muss“?
  • Welche Ambitionen, Wünsche, Ziele verbindet eine Mitarbeiterin mit der Aufgabe? (= Motivatoren)
  • Was darf aus Sicht des Mitarbeiters nicht passieren, wo liegen seine Tabus? (= Demotivatoren)
  • Stehen die Anforderungen der Aufgabe und die Fähigkeiten des Mitarbeitenden in Einklang miteinander? Droht eine Über- oder Unterforderung?
  • Kann der Mitarbeiter möglichst das tun, was er am besten kann?
  • Wird sie voraussichtlich die Aufgabe für sinnvoll halten?
  • Wird er die Aufgabe zu der seinen machen und sieht er sie als Chance, zu lernen?

Acht Grundsätze für Motivation durch Sinn und Zusammenhang

  1. Führungskräfte können ihre Mitarbeitenden nicht von außen motivieren; denn wirksame Motivation ist Selbst-Bewegung und nicht das programmierte Ergebnis äußeren Drucks, Schubs oder Zugs. Ziel ist nicht der kurzfristig „anreizbare“ Mitarbeiter, der fortwährender Lenkung und Überwachung bedarf, sondern der selbstständige und engagierte Mitarbeiter, der verantwortlich denkt und handelt. Also: weg vom individuellen, kurzfristigen und mechanistischen Beeinflussen hin zum Steuern von transparenten Prozessen, in denen alle ihren Platz finden können.
  2. Führung steht in Konkurrenz zu anderen Einflussgrößen, die ebenfalls auf die Handlungsbereitschaft von Mitarbeitenden einwirken. Wenn Ihnen auch Ihre Einflussmöglichkeiten gering erscheinen, bleibt eine wichtige Führungsaufgabe, die geeigneten Rahmenbedingungen für die Eigeninitiative der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu schaffen. Definierte, selbstverantwortete Räume, abgestimmte Ziele, wirksame Entscheidungen der innerbetrieblichen Arbeitsteilung und erfolgreiche Aushandlung von Schnittstellen vergrößern den Handlungsspielraum. Das wird als positiver Beitrag zur Motivation erlebt.
  3. Kapitäne, die dialogfähig sind, können ihren Führungsstil wesentlich motivierender gestalten. Sie sind in der Lage, echte Gespräche zu führen, statt nur mit jemandem zu reden. Sie beachten bei Entscheidungen die Meinung ihrer Mitarbeitenden. Sie können sich im Dialog Gedanken darüber machen, wie sie ihre Mitarbeiter allgemein und speziell so einsetzen, dass notwendige Aufgaben in motivierende Aufgaben umgesetzt werden. Auf diese Weise werden sie die individuellen Motivatoren und Demotivatoren der Mitarbeitenden aufspüren und können feststellen, welches Rädchen im Gesamtgetriebe für sie das richtige ist.
  4. Diese Führungskräfte sind echte Vorbilder, wenn sie sich mit Anregungen und Kritikpunkten der Mitarbeitenden ernsthaft auseinandersetzen, ihnen aber weder unterwürfig folgen noch in die Abwehr gehen. Sie sind im Dialog gleichermaßen kompromiss- wie konfrontationsbereit und können sich im notwendigen Maß von den Erwartungen anderer abgrenzen.
  5. Arbeitsatmosphäre und Betriebsklima werden auch durch das rasche Informationsangebot der Firma stark geprägt. Besonders motivierend sind für die Mitarbeitenden Informationen über die Pläne und Vorhaben der Geschäftsleitung, über organisatorische Veränderungen im Betrieb sowie über die allgemeine wirtschaftliche Situation außerhalb des Unternehmens.
  6. Schieben Sie nicht Dienst nach Plan, sondern etablieren Sie eine Koalition der Willigen. Denn Motivation entsteht durch Sinn und Zusammenhang – und nicht durch harte Pläne. Dahinter steht die Grundthese, dass eine Mitarbeiterin grundsätzlich eher intrinsisch motiviert und auf das Thema „Sinn“ gut ansprechbar ist: Empfindet sie eine Aufgabe, die sie ihr als Führungskraft anbieten, vor dem Hintergrund ihrer Ethik und ihrer eigenen Themen als sinnvoll? Ist es eine Tätigkeit, in der sie sich selbst gerne sähe?
  7. Wenn Sie das Team dann zur Teamsitzung zusammenrufen, geht es im Wesentlichen darum, den Teammitgliedern Sinn und Zusammenhang aufzuzeigen: Welche Bedeutung hat die (neue) Aufgabe? Und welche Rolle spielen die einzelnen Teammitglieder darin? Jeder soll erkennen, welches Rädchen er dreht – und wie sein Rädchen mit allen anderen zusammenspielt, damit das Ganze einen Sinn ergibt. Konkret geschieht das anhand einer Struktur, welche die verschiedenen Tätigkeiten zeigt und deutlich macht, wie diese miteinander zusammenhängen.
    Jeder Teammitarbeitende kennt jetzt seine Funktion. Jede weiß, wie die einzelnen Rädchen ineinandergreifen, welche Bedeutung das eigene Rädchen hat, wie es mit den benachbarten Rädchen zusammenhängt – und was passieren würde, wenn das eigene Rädchen stillstünde. Kurzum, die Mannschaft ist an Bord.
 

Dieser Blogbeitrag ist Teil einer elfteiligen Serie in der die Aufforderung ergeht, Ihr bisheriges Repertoire zu erweitern und bewährtes Führungswerkzeug zu ergänzen. Denn in einer Welt der Mehrdeutigkeit kann es kein neues, einziges und überragendes Führungsparadigma mehr geben. Über diesen elf Aufforderungen, etwas dazuzulernen, „thront“ ein Prinzip, auf dem das „Segeln auf Sicht“ sich gründet: die Drei-I-Regel

Führung unter Ungewissheit ist
a) inkrementell: weil große Pläne schon veraltet sind, bevor sie erscheinen;
b) interaktiv: weil einsame Helden mit ihrem Latein im VUCA-Wetter am Ende sind;
c) iterativ: weil Komplexität nicht in einem Zug bewältigt werden kann.

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