Statt Alphatiergehabe und Macht zu benutzen, lieber Einfluss gewinnen

10. von 11 Prinzipien der Führung bei Ungewissheit

Das Thema Macht wird in den meisten Unternehmen nicht offen gespielt und im Umgang mit der ihnen verliehenen Macht sind viele Führungskräfte unsicher. Unter anderem, weil sie das aktive Nutzen ihrer Gestaltungs- und Entscheidungsmacht oft irrtümlich mit einem einsamen, allwissenden und autoritären Verhalten gleichsetzen. Deshalb scheuen sich zum Beispiel manche Führungskräfte, „wenn’s brennt“ und ein schnelles, entschlossenes Handeln nötig wäre, ihre Entscheidungsmacht zu nutzen. Die Folge: Mitarbeitende wissen nicht, was es zu tun gilt, und ihnen fehlen der nötige Halt und die gewünschte Orientierung in einer Krisensituation.

Die helle und die dunkle Seite der Macht


Nicht erst seit Jedi-Meister Yoda in Star Wars wissen wir, dass Macht nicht nur eine helle, sondern auch eine dunkle Seite hat. Ein Führungsverhalten, das die Kompetenz des Überzeugens, Argumentierens und Verhandelns nutzt, ist okay und liegt sicher auf der hellen Seite.

Aber wenn Führungskräfte anfangen zu manipulieren, zu drohen und zu bestechen, dann nutzen sie das Potenzial der dunklen Seite. Für manche ist das Streben nach Macht sogar zu einem Selbstzweck geworden, d.h., sie nutzen sie nicht für Unternehmensziele, sondern um persönliche und psychologische Defizite zu kompensieren.

Die Lebenserfahrung lehrt uns, dass Führungskräfte, die die Techniken der dunklen Seite einsetzen, trotzdem als erfolgreich gelten und trotzdem Führungskräfte werden oder bleiben. Dies ist vor allem in den Organisationen der Fall, die stark auf das Ergebnis schauen und am Weg dahin kein Interesse haben: Wichtig ist ihnen vor allem, was hinten herauskommt.
Die Lebenserfahrung lehrt uns aber ebenso, dass in Organisationen, die die dunkle Seite der Macht über einen längeren Zeitraum dulden, eine Abstimmung mit den Füßen einsetzt. Mitarbeitende, die sich unter Druck gesetzt und unfair behandelt fühlen, verlassen die Organisation. Die Unternehmensleistung sinkt, der Erfolg bleibt mittelfristig aus.

Wirksamen Führungskräften gelingt es, eine gesunde Machtausübung zum Nutzen des Unternehmens zu etablieren. Mit seemännischer Gelassenheit nutzen sie die Gestaltungs- und Entscheidungsmacht, die ihnen zur Verfügung steht. Sie reflektieren den Unterschied zwischen sinnvoller Machtnutzung und autoritärem Verhalten und führen so ein System der „Checks and Balances“ als freiwillige Selbstkontrolle ein.

Wie es um die helle und dunkle Seite der Macht in Ihrer Organisation steht, können Sie anhand folgender Leitfragen mindestens erahnen:

  1. Haben wir Torwächter, d.h. Teammitglieder, die über die Richtigkeit einer Entscheidung abschließend befragt werden? Wer ist das und warum?
  2. Kenne ich Menschen in unserer Organisation, die Angst vor mir oder meinen Entscheidungen haben? Warum haben die wohl diese Angst?
  3. An welchen Stellen der Organisation haben wir Macht oder Einfluss konzentriert? Ist das sinnvoll oder geht es auch anders?
  4. Wie setze ich meine Initiativen in der Organisation durch? Welche Rolle spielen dann Einzelne, Untergruppen oder Führungsteams?
  5. Natürlich achte ich darauf, dass ich meine Mitarbeitenden/unsere Organisation überzeuge und „mitnehme“. Das merke ich woran?

Kerngruppen nehmen Einfluss

Es ist eine Binsenweisheit: In Unternehmen herrscht neben der formalen noch eine informelle Hierarchie. Art Kleiner nennt diese informelle Hierarchie Kerngruppe. In der Kerngruppe sind die Personen, auf die man zu sprechen kommt, wenn es um Wichtiges, Weichenstellungen und Vorentscheidungen geht.
Eine Kerngruppe ist nicht schädlich für eine Organisation: Im Gegenteil, denn hier versammelt sich ein Pool an Kreativität, Energie, Macht und Risikobereitschaft, den jedes Unternehmen braucht, um in dynamischen Umwelten handlungsfähig zu sein. Die Kerngruppe bestimmt die Orientierung des Unternehmens entscheidend mit, sie ist der Mikrokosmos, in dem Neues unter „Laborbedingungen“ erprobt und dann eingeführt wird. Wer also auch jenseits seiner hierarchischen Stellung Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen möchte, dem gilt der Rat: „Rein in die Kerngruppe!“.

Haben Sie sich dazu entschlossen, dann helfen Ihnen folgende Leitfragen, die Kerngruppe zu verorten, d.h. herauszufinden, wer ihr angehört:

  • Denken Sie bitte an Ihre letzten wichtigen Entscheidungen zurück. Welche Interessen haben Sie dabei berücksichtigt und wessen Zustimmung war Ihnen wichtig?
  • Wer sind die Menschen in Ihrem Unternehmen, welche die Macht haben, die Dinge umzusetzen – auch wenn sie dabei die formalen Prozesse umgehen?
  • Wer kann in Ihrer Organisation ein Vorhaben schnell und sicher zu Fall bringen?
  • Welche Leute haben die Hand am Ruder? Wenn Ihre Firma in eine Krise schlittert, wer geht zuletzt von Bord?
  • In wessen Meeting gehen Mitarbeitende auch, wenn unklar ist, worum es geht – nur weil er/sie/es eingeladen hat?

Wer keine Politik macht, mit dem wird Politik gemacht

Während in der stabilen, komplizierten Welt die Kompetenz- und Einflussbereiche meist klar abgegrenzt sind, verlaufen bei Ungewissheit diese Bereiche oft quer über Abteilungsgrenzen hinweg. Entscheidungen werden im Zusammenspiel verschiedener Führungskräfte getroffen, die oft unterschiedlichen Unternehmensbereichen angehören und eigene Interessen verfolgen. In einem solchen Umfeld spielt Mikropolitik eine wichtige Rolle.

Mikropolitik bedeutet hier, dass der Kapitän in Zwei- bis Sechs-Augen-Beziehungen agiert, also im Unterschied z.B. zu einer Betriebsversammlung auf der Makroebene direkt die einzelnen Personen anspricht.
Viele Führungskräfte, gerade wenn sie aus einer Denkschule der Kausalität, Sachargumentation und der abendländischen Richtig-Falsch-Logik kommen, stellt die Mikropolitik vor neue Anforderungen. Sie irritiert deren Glaubenssatz, dass sich das bessere fachliche Argument durchsetzen wird, solange Personen an einer sachlichen Lösung arbeiten.

Oswald Neuberger hat sich mit dem Thema Mikropolitik ausführlich befasst und sie als „das Arsenal jener alltäglichen kleinen Machtmethoden, mit denen innerhalb von Organisationen Macht aufgebaut und eingesetzt wird“ , beschrieben. Er weist zu Recht darauf hin, dass Mikropolitik eine konstruktiv-produktive und eine destruktive Seite hat.

Die destruktive Seite, die fast immer mit der dunklen Seite der Macht im Bunde ist, hat wohl jeder schon einmal in seiner Organisation erlebt, wenn

  • blinder Egoismus und persönlicher Ehrgeiz das Arbeitsverhalten bestimmen;
  • Drohung, Einschüchterung und „Heimzahlen“ die Kommunikation beherrschen oder auch
  • jede Einladung zur Kooperation mit der Gegenfrage „ Und was hab ich davon?“ beantwortet wird.

Mir kommt in der Führungslehre die zweite, konstruktive Seite zu kurz. Auch bei dem Thema Mikropolitik scheint mir genauso eine Unterscheidung, die trennt, am Werke zu sein, wie beim Thema Macht. Weil ich das Konzept destruktiv nutzen kann, lehne ich das ganze Konzept ab.

Und dabei ist bei Führung unter Ungewissheit die positive Seite der Mikropolitik hilfreich:

  • Sie nutzt das informelle Potenzial der Organisation bewusst und produktiv, wenn Interessen angesprochen, Netzwerke gebildet und Kerngruppen für die Lösungsfindung eingespannt werden.
  • Sie pflegt bewusst die emotionale Beziehungsebene und schafft so ein natürliches Gegengewicht zur „objektiven Sachlogik“.
  • Sie eröffnet Marktplätze und Verhandlungsräume bei komplexen Fragestellungen, in denen eine richtige Lösung nicht erreichbar ist.

Dieser Blogbeitrag ist Teil einer elfteiligen Serie in der die Aufforderung ergeht, Ihr bisheriges Repertoire zu erweitern und bewährtes Führungswerkzeug zu ergänzen. Denn in einer Welt der Mehrdeutigkeit kann es kein neues, einziges und überragendes Führungsparadigma mehr geben. Über diesen elf Aufforderungen, etwas dazuzulernen, „thront“ ein Prinzip, auf dem das „Segeln auf Sicht“ sich gründet: die Drei-I-Regel

Führung unter Ungewissheit ist
a) inkrementell: weil große Pläne schon veraltet sind, bevor sie erscheinen;
b) interaktiv: weil einsame Helden mit ihrem Latein im VUCA-Wetter am Ende sind;
c) iterativ: weil Komplexität nicht in einem Zug bewältigt werden kann.

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