Statt als einsamer Held an der Spitze lieber im Team führen

letztes von 11 Prinzipien für Führung bei Ungewissheit

Die Führungskraft sitzt spätabends vor ihren Mails. Obwohl sie die Besprechung mit ihrem Team heute wieder einmal wegen eines „Feuerwehreinsatzes“ absagen musste, ist sie schon wieder über neun Stunden hier.

Außerdem fühlt sie sich von ihrem Team nicht gut unterstützt. Die Arbeit ist längst noch nicht so weit, wie es verabredet war. Scheinbar bringt nur die Führungskraft sich voll ein! Dabei sind alle Ziele exakt beschrieben, der Plan steht – jeder kann alles nachlesen und muss doch wissen, worum es geht! Anstatt dass jemand kommt, um zu erzählen, was los ist, muss die Führungskraft sich wieder kümmern und nachfragen. Zum Glück hat der Vorstand ihre Arbeit aber gesehen und für den „bemerkenswerten persönlichen Einsatz in der letzten Zeit“ eine neue Herausforderung in Aussicht gestellt …

Immer wenn es schwierig wird, immer wenn besondere Leistungen verlangt werden, wenn etwas ganz Wichtiges passieren muss, dann betreten sie die Bühne: Helden. Sie verbringen große Taten, und in früheren Zeiten wagten sie für andere sogar ihr Leben. Diese Heldengeschichten finden sich in neuzeitlichen Organisationen besonders oft in der Führungs- und Projektarbeit wieder, denn hier gibt es die besonderen Anlässe und schwierigen Situationen, auf die unsere Helden lauern, zuhauf.

Managementhelden werden von den Unternehmen angezogen, deren organisationale Kompetenz (Prozesse, Rollenmodelle und gelebte Führungskultur) unterentwickelt ist. Dort finden Helden die suboptimale Struktur, in der sie „Erfolge erringen“. Das ist zwar tapfer, aber für das Unternehmen nicht klug. Es wird zwar eine hohe Bindung von Fachkräften (des Typus Held), aber keine Problemlösungsfähigkeit des Unternehmens selbst erreicht.

Die Zeit der einsamen Helden ist aber vorbei. In Zeiten zunehmender Ungewissheit, regelmäßiger Trendbrüche und steigender Komplexität ist es gut, Segeln auf Sicht im Team zu organisieren, statt allein auf Charisma an der Spitze zu setzen.

Aber der Teufel steckt im Detail: Zu oft wird nur eine formale Doppelspitze oder Managementrunde installiert, in der die anwesenden Manager ihre Ressorts vertreten und eifersüchtig darauf achten, dass jeder Schuster bei seinen Leisten bleibt.

Notwendig ist aber ein Team bestehend aus Führungskräften, die bewusst ihre Unterschiede nutzen und Bereichsgrenzen überwinden wollen. Denn Führungskräfte, die sich entschlossen haben, ein Führungsteam zu bilden, sind nicht nur erfolgreicher, sondern auch gelassener, in vielen Punkten weniger belastet und persönlich zufriedener als jene Gruppen von Managern, die sich nur als „Managementrunde“ verstehen.

Von der Managementrunde zum Führungsteam


Der Weg zum Führungsteam vollzieht sich nicht in wenigen Wochen. Angesichts der vielfältigen Aufgaben und terminlichen Verpflichtungen, die die Mitglieder eines Führungsteams haben, ist ein Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten realistisch, in denen sechs Schritte dafür notwendig sind :

  1. Führung intensivieren, statt noch mehr Management zu betreiben
    Führungsteams bleiben auf der Brücke und führen von vorn. Auf der Unternehmensbrücke, d.h. an der Schnittstelle der Organisation zur Außenwelt, sind sie dafür zuständig, die vielschichtigen und „außen“ liegenden Kontextinformationen zu importieren. Sie versorgen die Firma mit Neuem, Strategie, Vision, Markteinschätzung und Weitblick, während die Managementtechniker der alten Schule weiterhin im Maschinenraum sitzen und sich an Optimierung des Bekannten versuchen.
    Führungsteams entfalten ihre Rolle nur, wenn sie sich konsequent von Managementaufgaben verabschieden und stattdessen die Aufgabe der Führung ins Zentrum ihrer Tätigkeit stellen. Klare Rollen sind die notwendige Bedingung, um wirksam zu sein, denn nur auf der Basis des Bewusstseins für die Unterscheidung von Rolle und Person und des klaren Blicks, wann ein authentischer Führungsstil unprofessionell wird, kann ein wirksamer Teamentwicklungsprozess entstehen.

  2. Die Kraft der Gruppe nutzen, um unter Unsicherheit planen und entscheiden zu können
    Wir wissen es doch alle: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Trotzdem ist die typische Reaktion von Unternehmenslenkern, nachdem sie von einem unerwarteten Ereignis „kalt“ erwischt wurden, ein erhöhter Planungsaktionismus (mehr Pläne, detailliertere Pläne, langfristige Pläne), um die bisher unsicheren Elemente besser zu kontrollieren. Pure Planwirtschaft eben!
    Pläne erhalten im Führungsteam eine neue Funktion: Sie werden nicht erarbeitet, um sie sklavisch umzusetzen, sondern vielmehr, damit man sie diskutieren, zu ihnen Position beziehen und Alternativen und Szenarien entwickeln kann. Sie dienen dazu, die Debatte und das Lernen zu organisieren, statt nur stur festzulegen, was passieren muss! Hier ist es gut, wenn man nicht allein ist, sondern die Kraft eines echten Führungsteams nutzen kann und keine Zeit für Pseudokooperation verschwendet.

  3. Hart am Wind sein, um Unterschiede zu schätzen und Widerstand zu nutzen
    Immer öfter installieren Unternehmen Führungsteams an ihrer Spitze. Häufig ist dann davon die Rede, dass diese Teams ein Club von „Gleichen“ sein müssten, d. h. ohne Macht- und Einflussdifferenz sein sollten, um erfolgreich zu sein. Die Praxis zeigt genau das Gegenteil: Viele Teams an der Spitze sind durch Pseudokooperation, d. h. das Darstellen von Zusammenarbeit statt der eigentlichen gemeinsamen Sacharbeit, gekennzeichnet. Wirksame Führungsteams sind sich ihrer Unterschiede bewusst und nutzen diese. Damit dies gelingt, stellen sie sich ihren fünf typischen Dämonen, die die Arbeit im Führungsteam schwierig machen: Einsamkeit, Misstrauen, Harmoniestreben, Verlust des Lorbeerkranzes bzw. Erhalten des Dornenkranzes und Egoismus.

  4. Macht und Einfluss ausbalancieren, damit Alphatiere nicht unter sich bleiben
    Wenn sich Führungskräfte zu einem Führungsteam zusammenfinden wollen, ist es ganz normal, wenn sich im Laufe des Prozesses Reibungen zeigen. Denn durch das Einlassen auf ein gemeinsames Führungsteam gibt jede Führungskraft ein Stück ihrer Autonomie auf, sorgt sich um ihre Interessen und fürchtet Macht- und Einflussverlust. Der gelassene Umgang mit Macht und Autorität ist für ein wirksames Führungsteam unabdingbar. Die höhere Qualität von Führungsteams gegenüber Einzelpersonen zeigt sich gerade, wenn die Führungskräfte regelmäßig gemeinsame Reflexionsschleifen durchlaufen und so dysfunktionales Autoritätsgehabe und die dunkle Seite der Macht in ihrem Verhalten effektiv steuern lernen. Deshalb ist es wichtig, mit den im Team vorhandenen Macht- und Einflussdifferenzen nicht Spielchen zu treiben, sondern einen verbindlichen Umgang zu verabreden. „Heikles“ wird dann endlich in gemeinsamem Dialog statt in bilateralen Hintergrundgesprächen besprochen. Alphatiergehabe wird bewusst dort eingesetzt, wo es nützlich ist, und echte Gegensätze werden so zugespitzt, dass sie mit Wertschätzung und Würdigung der Leistung des anderen ausgetragen werden.

  5. Wirksame Informationspolitik statt Heldentum betreiben, damit sich das Team gut verkauft
    Führungsteams planen die Inszenierung ihrer Informationspolitik bewusst und reden nicht nur einfach so drauf- los. Dem klassischen Muster der Starallüren, das immer dann auftritt, wenn sich Führungskräfte vor allem darauf konzentrieren, wie sie persönlich „ankommen“, begegnen sie mit modernen, dialogorientierten Kommunikationsformaten wie Szenariotechnik, Sounding Board, World Café und Open Space. Sie hüten sich vor Starallüren und tapferem, aber nicht klugem Heldentum und vermeiden so vorschnelles Commitment, Kontrollillusion und das Sich-Verbuddeln im Maschinenraum des operativen Tagesgeschäfts.

  6. Regelmäßig das Team pflegen, denn Team-Rüstzeiten schaffen Gelassenheit
    Auch in der Gestaltung ihrer Tagungen machen Führungsteams einen wirksamen Unterschied. Sie gehen nicht einfach mal nach draußen, sondern organisieren Team-Rüstzeiten, in denen durch neue Formate wie kollegiale Beratung, Lernreisen und „Staff Rides“ für die notwendige Störung der operativen Routine gesorgt wird. So halten sie das Team lebendig und produktiv. Ein funktionierendes Führungsteam braucht regelmäßige Pflege, denn die Gruppenentwicklung vollzieht sich eben nicht wie eine Bergtour, bei der man sich ausruhen könnte, wenn man irgendwann auf dem Hügel angekommen ist …

Dieser Blogbeitrag ist Teil einer elfteiligen Serie in der die Aufforderung ergeht, Ihr bisheriges Repertoire zu erweitern und bewährtes Führungswerkzeug zu ergänzen. Denn in einer Welt der Mehrdeutigkeit kann es kein neues, einziges und überragendes Führungsparadigma mehr geben. Über diesen elf Aufforderungen, etwas dazuzulernen, „thront“ ein Prinzip, auf dem das „Segeln auf Sicht“ sich gründet: die Drei-I-Regel

Führung unter Ungewissheit ist
a) inkrementell: weil große Pläne schon veraltet sind, bevor sie erscheinen;
b) interaktiv: weil einsame Helden mit ihrem Latein im VUCA-Wetter am Ende sind;
c) iterativ: weil Komplexität nicht in einem Zug bewältigt werden kann.

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