Wir werden in nächster Zeit eine Vielzahl von Transformationsprozessen erleben, deren Art und Vorgehen unterschiedlich sein wird. Die Landschaft wird vielfältiger. Es wird eher die Regel sein, dass in einer Unternehmung sowohl klassisches als auch agiles Change Management zur gleichen Zeit stattfinden.
Ich denke da an eine Organisation, in der das Top- Management einen klassischen Strategieprozess mit einem der großen Beratungshäuser macht. Es werden zwar viele Interviews geführt, aber nur die TOP 30 Führungskräfte sind an der Strategie-Formulierung beteiligt. Der Rest des Unternehmens wartet auf Tag X und ist gespannt wie der Kai aussehen wird, der dann aus der Kiste springt.
Genau zur gleichen Zeit begleite ich in einem der Zentralbereiche eine Transformation in der parallel die beleggebundene Arbeit eingestellt, eine Führungsebene gestrichen, eine Software eingeführt und mit Formen der Selbstorganisation experimentiert wird.
VUKA ist nicht das Problem, sondern weist uns den Weg
Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (was ja kurz zum Akronym VUKA zusammengefasst wird) charakterisieren die Welt, in der sich die Disziplin Change Management heute angesichts der digitalen Transformation bewähren muss.
Dennoch – oder vielleicht deswegen? – ist der Wunsch nach klaren, eindeutigen Aussagen, nach exakten Analysen, zutreffenden Prognosen und todsicheren Rezepten unausrottbar.
So klammern sich noch immer noch viele Organisationen an die Hoffnung, dass sie sich auf Strukturen, Spielregeln, Phasenmodelle oder Motivationstools verlassen können. Doch das ist leider weit gefehlt. Organisationen stehen heute mehr denn je vor der Herausforderung, dass sie viele Ziele gleichzeitig verfolgen müssen, die sich teilweise widersprechen.
VUKA gilt dabei als Herausforderung und – zugleich – als Lösungsansatz. Die gleichzeitige Darstellung der vier Kräfte Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität in einer Matrix (der unter Managern ja immer noch beliebtesten Darstellungsform für Zusammenhänge) ist natürlich viel zu simpel, um die umfassenden Vernetzungen zwischen ihnen darzustellen. Andererseits bietet sie einen ersten Blick auf die „neue Welt“, der sich Change Management heute stellen muss.
Wenn das Umfeld volatil ist, dann macht Pragmatismus mehr Sinn als Prinzipientreue. Notwendige Änderungen sollten dann rasch, aber in verbindlicher Kommunikation erfolgen: „Mach, was Du willst, aber Du musst darüber sprechen, damit Deine Kolleginnen und Kollegen Bescheid wissen und wiederum selbst darauf reagieren können!“ lautet die Maxime.
Unter hoher Unsicherheit sind harte, richtige Pläne nicht mehr als ein Mythos. Aber deshalb ist Planung nicht gleich obsolet, denn Ziele und Pläne bilden die notwendige Struktur für Kooperation. Mit dem Prinzip des ehemaligen US-Präsidenten Eisenhowers „Pläne sind unwichtig, aber Planung ist alles“ gilt also, dass Planung an sich heilig ist, aber keinesfalls die Zahlen, Daten und Fakten darin!
Hohe Komplexität bedeutet, dass immer noch etwas nachkommt. Daher sollten Sie sich von der Illusion, eine Transformation sei wirklich steuerbar, schnell verabschieden: Entwickeln Sie stattdessen lieber eine gute Anpassungsfähigkeit an neue Situationen indem sie ihr Repertoire erweitern.
Erfolgsfaktor Ambiguitätstoleranz
Und dann werden die Situationen häufiger werden, in denen Toleranz gegenüber Ambiguität gefragt ist. Eine Fähigkeit, die bisher in den Kompetenzprofilen von Führungskräften nicht vorkommt. Ambiguitätstoleranz ist die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten, Unterschiede oder Ungewissheit wahrzunehmen und nicht gleich negativ zu bewerten. Je höher die Ambiguitätstoleranz ausgeprägt ist, desto eher ist man in der Lage, etwas auszuhalten, was einem auf den ersten Blick schwer verständlich oder sogar inakzeptabel erscheint. Menschen, die die dual denken und in den Kategorien richtig-falsch, gut-schlecht handeln, also „schwarz-weiß“ denken, bezeichnen wir deshalb als ambiguitätsintolerant.
Wirksame Agenten der Transformation arbeiten an ihrer Ambiguitätstoleranz, indem sie bewusst Unterschiede in ihren Change Prozess einführen. So schützen sie sich vor einfachen Wahrheiten, aalglatten Problemlösungen und vorschnellem Konsens. Eine hohe Ambiguitätstoleranz macht den Blick weit und frei für noch nicht entdeckte Alternativen und bisher als unmöglich abgetane Lösungsideen. So können verschiedene Interessen entdeckt und im Führungsprozess genutzt werden. Eine erfolgreiche agile, digitale Transformation ist ohne ein gutes Maß an Ambiguitätstoleranz nicht zu leisten.
Seien Sie also nicht überrascht, sondern vorbereitet: eine agile, digitale Transformation ist keine ruhige Reise auf Schienen und im Sonnenschein, sondern eine Tour mit wechselnden Verkehrsmitteln, unterschiedlichen Geschwindigkeiten und einigen Kurskorrekturen.
Und gestatten sie mir zum Abschluss dann doch noch eine Binsenweisheit: es gibt kein neues, gutes und altes, schlechtes Change Management – nur wirksame und unwirksame Transformation! Lassen sie sich da von den Evangelisten und Effekthaschern nichts einreden…
Wieder einmal belibt mir nichts anderes übrig, als „stimmt“ zu sagen.
Viele Grüße
Franz Wenzl
gern gemacht, lieber Franz Wenzl